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Post aus Tampico

Versteigerung von Briefen und Manuskripen B.Travens  ■ Von Frank Nordhausen

Keiner hat das Versteckspiel mit der Öffentlichkeit, das Abtauchen in den Schatten verschiedener Pseudonyme so perfekt inszeniert wie B.Traven, der „mystery man“ der modernen Literatur. Bis heute sind Herkunft, Geburtsdatum und weite Lebensabschnitte unbekannt, plagen sich Journalisten, Literaturforscher und Biographen mit obskuren Theorien, falschen Spuren und labyrinthischen Verweisen ab.

Das Berliner Auktionshaus Gerda Bassenge nahm am vergangenen Freitag das (vorgeblich) hundertste Geburtsjahr des Autors zum Anlaß, einen Posten von 36 Briefen und Typoskripten, die Traven in den Jahren 1925 bis 1932 abgefaßt hat, zu versteigern, außerdem 15 Originalfotografien, beschriftete Briefumschläge etc. Die wertvollsten Stücke: mehrere Originalmanuskripte mit handschriftlichen Korrekturen, darunter eine unveröffentlichte (inhaltlich belanglose) Kurzgeschichte. Dazu drei handschriftliche Briefe Travens, die einzigen, die es meines Wissens überhaupt gibt (ab April 1925 besaß der Schriftsteller eine alte Remington und vermied jede Aufzeichnung mit Feder oder Bleistift).

Bei den Objekten mit der Auktionsnummer 3052 handelt es sich um die Korrespondenz mit John Schikowski, seinerzeit Cheflektor beim sozialdemokratischen 'Vorwärts‘. Bassenge bezeichnet die Manuskripte zu Recht als „literarische Sensation“, denn die Existenz der Autographen war bisher nur wenigen Eingeweihten bekannt. Vor allem aber: Noch nie gelangten Traven-Handschriften zur Versteigerung, wenn man von der letztjährigen Auktion einiger Autographen des Anonymus Ret Marut (bei Hauswedell) absieht.

Unter jenem Namen hatte sich der spätere B.Traven als Journalist und Pressebeauftragter in der Münchner Räterepublik von 1919 engagiert. Er wurde nach dem Einmarsch der Noske-Truppen wegen Hochverrats steckbrieflich gesucht und lebte vier Jahre im Untergrund, bevor er sich 1924 auf bisher ungeklärten Wegen nach Mexiko absetzte. Am Golf von Mexiko startete er in ein neues Leben, schlug sich zunächst als Baumwollpflücker, Farmer, Öl- und Kakaoarbeiter durch. Frühzeitig besann er sich seiner Federfertigkeit und begann, Kurzgeschichten und feuilletonistische Essays an Zeitungen und Zeitschriften in den USA und in Deutschland zu versenden. B.Travens Anschrift: Postfach 1208, Tampico, Tamaulipas.

Dabei erinnerte er sich offenbar auch an den 'Vorwärts‘, den er in seiner Münchner Zeit noch der politischen Lüge bezichtigt hatte. Und er hatte Glück. In John Schikowski fand er einen Lektor, der sein Talent erkannte und förderte. Die Briefe zeigen, daß Schikowskis Anteil an der beispiellosen Karriere Travens (gegenwärtige Gesamtauflage etwa 25 Millionen) gewichtiger als bisher gewertet werden muß: er war der eigentliche „Entdecker“ des Autors. Er war der erste und wichtigste Kontaktmann, der unter anderem dafür sorgte, daß der 'Vorwärts‘ die Romane Die Baumwollpflücker und Das Totenschiff in Fortsetzungen druckte.

Die Autographen ergänzen und bestätigen die Erkenntnisse der Traven-Forschung, die in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat — vor allem durch die Veröffentlichungen des Harvard-Germanisten Karl S.Guthke. Von besonderem Interesse sind die ersten neun Briefe aus dem Jahr 1925. Denn sie geben Zeugnis von Travens Lebenssituation nach der Ankunft in Mexiko, die bisher nur äußerst knapp dokumentiert ist. Im August 1925 setzte dann die (von Schikowski vermittelte) umfangreiche Korrespondenz mit der Büchergilde Gutenberg ein, zu der die vorliegenden Briefe, soweit ich sehe, nichts wesentlich Neues mehr beitragen.

Lebens- und werkgeschichtlich gleichermaßen interessant ist schon der erste Brief vom 6.Januar 1925. „Haben Sie Interesse für einen Roman, der aus eigener Erfahrung das Leben der Baumwollpflücker in den Tropen sowie das Leben der eingeborenen (indianischen) Arbeiter in verschiedenen anderen Berufszweigen schildert? Umfang etwa 35.000 Silben, zwanzig Kapitel, Maschinenschrift.“ Mit diesen Zeilen beginnt die literarische Laufbahn des sozialkritischen Abenteuerschriftstellers B.Traven. „Muß mit Bleistift schreiben, da die nächste Gelegenheit, Tinte zu kaufen, 36 Meilen entfernt ist“, entschuldigt er sich. Schikowski reagiert positiv, und schon mit dem zweiten Brief vom 20.Januar 1925 schickt der Autor das „soeben vollendete Manuskript Die Baumwollpflücker.“ Typischer Hinweis: „Abgesehen von den genügend zahlreichen Stellen, die ich selbst vorgeschlagen habe, dürfen keine Änderungen vorgenommen werden, insbesondere nicht, um den revolutionären Charakter abzuschwächen.“

Vom 21.Juni bis 16.Juli bringt der 'Vorwärts‘ die tragikomische Erzählung von Arbeit und Streik im Baumwollfeld als Fortsetzungsserie. Honorar: 500 Reichsmark. Traven, so wird aus der Korrespondenz deutlich, kämpft nach diesem ersten Erfolg verbissen darum, sich als Schriftsteller zu etablieren. Er produziert und sendet in rascher Folge Manuskripte, schlägt Publikationsprojekte vor und bittet Schikowski um die Vermittlung und Weiterleitung seiner Texte an weitere Organe der Arbeiterpresse.

Aber noch reicht das Honorar nicht, um davon zu leben. Der Autor verdingt sich als Hauslehrer bei einem amerikanischen Farmer und werkelt an seinem Ruf als ruheloser Abenteurer: „Vielleicht kommt in zwei oder vier Jahren wieder einmal ein Landstreicher der Tropen hier in die Naehe und dann ist vielleicht wieder einmal zwei oder drei Monate Schule, bis sich der Lehrer ein wenig angefuttert, ein neues Hemd und ein paar neue Stiefel gekauft hat und dann zieht er ab. Und das tu ich, übermorgen. Ich weiss noch nicht, wo ich lande.“ (Brief vom 18.April 1925) Reisen gehört zum Handwerk: „Sind Sie interessiert für sonstige Reiseschilderungen etc. in Mexico, Guatemala u. Honduras?“ fragt er gleich im ersten Brief. Und schon ist die Begeisterung des späteren Amateuranthropologen für die mexikanischen Indianerkulturen erwacht: Im Juni 1925 sendet er zum Beispiel das Manuskript „Himmel und Hoelle bei den Azteken“.

In Begleit- und Werbetexten erläutert Traven seine Romane Die Baumwollpflücker, Das Totenschiff und Die Brücke im Dschungel. Er besteht auf unbedingter Authentizität des Erzählten, entwickelt also bereits am Anfang seiner Karriere die Vorstellung der Identität von Fiktion und Leben, die seine Bücher so attraktiv und ihn selbst zum Mythos werden ließ: „Die mitgeteilten Tatsachen sind brutale Wahrheit, ich spreche aus eigener Erfahrung.“ (zu Die Baumwollpflücker) Und voller Selbstbewußtsein stellt er fest: „Selten ist das heisse, animalische und intime Leben der Bewohner des centralamerikanischen Dschungels mit solcher Kraft und Anschaulichkeit geschildert worden wie in diesem Roman [...]“ (Die Brücke im Dschungel)

Apropos Mythos: Der Mann, den Paul Theroux „das größte literarische Geheimnis des Jahrhunderts“ nannte, der seine Identität hinter über dreißig Pseudonymen versteckte, ließ sich natürlich auch von Schikowski nicht in die Karten gucken. Im vielleicht wichtigsten Brief vom 26.August 1925 versucht er, sich als englischsprachiger Autor zu verkaufen: „Ich muß hierbei gleich einmal bemerken, dass ich alle meine Arbeiten englisch in meinen Hirnwindungen, wo die Intuition arbeitet, empfange und aufnehme. Alle meine Gestalten, wenn sie nicht Indianer oder Mexicaner sind, reden zu mir und mit mir und in mir nur englisch.“ Klar ist aber, daß die ersten Briefe kaum Unsicherheiten im Gebrauch der deutschen Sprache verraten, während sich im Laufe der Korrespondenz bis 1932 mehr und mehr Anglizismen einschleichen: ein Befund, der auch für die späteren Romane und Erzählungen charakteristisch ist. Und das eigentliche Geheimnis des Geheimnisvollen — die Entdeckung seiner Identität, eines Bildes — blockt der „Meister-Mystifikateur“ (Guthke) schon in diesen frühen Briefen ab, wenn auch nachdenklicher und nicht so schroff wie später: „Aber kein Bild von mir. Ich glaube nicht. Vielleicht im Kreise von Indianern oder Arbeitern oder anderen Erdbewohnern. Schwerlich ein Bild, auf dem ich allein stehen muss. Ich leide an Platzangst, wenn ich ueber den Platz Oeffentlichkeit gehen muss [...] ich bin kein Schriftsteller und habe keine Sehnsucht nach Beruehmtheit [...]“ (Brief vom 26.August 1925)

Die Autographen und Fotografien sind in einem erstaunlich guten Zustand, auch wenn das Papier inzwischen vergilbt und manchmal „kleine Loecher, von tropischen Insekten gebohrt“ (Traven) aufweist. Aber das macht ja einen gewissen exotischen Reiz aus. Für die erstrangigen Objekte waren 60.000 DM geboten. Den Zuschlag erhielt schließlich ein privater Sammler unbekannter Herkunft — zum Endpreis von 90.000 DM.

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