piwik no script img

Realpolitik und Candlelight

Der erste KSZE-Konferenztag in Paris — bei den Großen feuchte Aussprache und Blicke ins Leere/ Europäisches Sicherheitssystem jenseits der Nato bleibt diplomatischer Schnickschnack  ■ Aus Paris A. Smoltczyk

Mitterrand leitet die erste Sitzung mit dem Duktus und der kokettierenden Pathetik eines KleintierzÜchter- Vereinspräsidenten. Ein leichtes Klopfen mit dem Holzhammer, dann: „Wir vertreten hier eine Milliarde Menschen. Aber auch den anderen sagen wir: Ihr habt das gleiche Recht zur Kooperation wie wir...“ Schafft ein, zwei, drei, ganz viele Helsinkis. Maggie Thatcher starrt pikiert ins Leere und denkt an Michael Heseltine. Schräg gegenüber versinkt Michel Rocard im Sessel und zählt im Stillen die Stimmen, mit denen er abends das Mißtrauensvotum zu überstehen denkt. Von „feierlicher Beerdigung des Kalten Krieges“, wie es 7.000 Journalisten gerade schreiben, keine Spur.

„Weshalb sollte die KSZE-Methode nicht auch auf andere Gebiete der Welt Anwendung finden?“, fragt der Mann mit dem Hammer. Bush hängt sich über seine rechte Sessellehne, um der feuchten Jovialität seines Nachbarn Helmut auszuweichen. Am Abend zuvor hat ihm Mitterrand beim Candlelight-Diner versprechen müssen, im UN-Sicherheitsrat für eine militärische Intervention im Golf zu stimmen. Perez de Cuellar weiß natürlich, was in den Pariser Hinterzimmern, den diplomatischen Tête-à-têtes für halbseidene Realpolitik, getrieben wird: „Die Verantwortung der [vier KSZE-Staaten im Sicherheitsrat] beschränkt sich nicht auf ihr Territorium“, appelliert er noch einmal, bevor es zum Mittagessen geht.

Rings um die Konferenz sorgt ein orwelleskes Polizeiaufgebot für allgemeine Verunsicherung. 10.000 beamtete Schnüffler, Kontrolleure und Platzanweiser, ein ständig kreisender Hubschrauber und wochenlange Inspektionen des gesamten Stadtviertels — durch eine Inspektoren-Gang, die jüngst in die Ermordung eines Pastors verwickelt war... Nie zuvor war soviel staatliche Macht in Paris repräsentiert, und die Stadt improvisiert aufs beste. Weil Mitterrands Triumphbogen der Menschenrechte leider schon vermietet war, mußte auf das aus den Vietnam-Verhandlungen berüchtigte „Centre Kleber“ zurückgegriffen werden. Der Bau wurde bis aufs Trottoir erweitert, so daß die geehrten Staatsgäste nicht schlecht staunten, als im Foyer leibhaftige Pariser Straßenbäume im Wege standen.

Doch die Platanen sind das einzige, was in den Konferenzhimmel wächst. Den osteuropäischen Delegationen ist rechtzeitig signalisiert worden, daß sie die Feierreden nicht zu ernst nehmen sollten: Eine mehr als symbolische Institutionalisierung der KSZE, gar ein europäisches Sicherheitssystem jenseits der Nato stehen zwar auf der Tagesordnung, aber eben nur auf der diplomatischen. Als Gäste Frankreichs sind auch die Vertreter der baltischen Republiken gekommen. „Man kann nicht 16 Millionen Ostdeutschen ihr Recht auf Selbstbestimmung zugestehen und uns nicht“, meinte Lettlands Ministerpräsident Landsbergis, ins Frühstücksfernsehen zugeschaltet. Vor dem Pressezentrum stehen die baltischen Journalisten. Als Nicht-mehr-Sowjets und Noch- nicht-Europäer müssen sie „leider“ draußen warten. „Es ist wie in München 1938 — die Großen machen ihren Frieden auf dem Rücken der Kleinen...“, flucht ein Lette. Unterdessen schildert ein anderer Kleiner im Konferenzsaal, Maltas Präsident Fenech Adami, wie „im sturmtobenden Hafen Maltas“ der Zweite Weltkrieg beendet wurde. Gorbatschow schiebt Schewardnadse einen Zettel rüber. Maggie blickt ins Leere.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen