: Komplott gegen Violeta Chamorro aufgedeckt
Nicaraguas konservative Präsidentin gerät vor allem von rechts unter Druck/ Seit Wochen schüren rechtsextreme Bürgermeister und ehemalige Contras Unruhen/ Ex-Contra-Chef Sanchez beschuldigt Vizepräsidenten der Verschwörung ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Jahrelang unterstützte die politische Opposition Nicaraguas mehr oder weniger offen die Contras in ihrem Krieg gegen die verhaßten Sandinisten. Doch heute, wo diese Opposition mit Präsidentin Violeta Chamorro an der Regierung ist, scheinen ihre gefährlichsten Gegner nun nicht mehr die Sandinisten zu sein, sondern just die bewaffneten Rebellen, die — von den USA unterstützt und ausgebildet — das Land mit einem Krieg überzogen, der Zehntausende von Menschenleben gekostet hat. Nicaragua kommt auch unter der neuen, konservativen Regierung nicht zur Ruhe. Seit Wochen fordern rechtsextreme Bürgermeister unter anderem den Rücktritt von Armeechef Humberto Ortega, der schon seinem Bruder Daniel, dem im Frühjahr abgewählten sandinistischen Präsidenten, als Verteidigungsminister diente. Wochenlang wurden in verschiedenen Teilen des Landes Straßen verbarrikadiert und ganze Ortschaften abgeschnitten. Vier Polizisten wurden bei Auseinandersetzungen getötet. Am Montag nun beschuldigte der ehemalige Contra- Chef Aristides Sanchez, vermutlich Anführer der Rebellionen, den Vizepräsidenten des Landes, Virgilio Godoy, und andere Politiker wie den rechtsextremen Bürgermeister Managuas, Arnaldo Aleman, in ein Komplott gegen die Präsidentin verwickelt zu sein.
Mit der Exilierung von Sanchez hat Violeta Chamorro die jüngste Krise vorerst überlebt. Sanchez war schon am 15. November festgenommen worden. Am Montag verließ er nun überstürzt das Land Richtung Miami, hinterließ aber eine Reihe von Briefen, die er kurz vor seiner Abreise geschrieben hatte. In einem spricht er von der Verschwörung Godoys, der über das Schüren von Unruhen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen die Präsidentin zum Rücktritt habe zwingen wollen, um selbst zum Staatsoberhaupt aufzurücken. In einem weiteren Schreiben appelliert er an den Contra-Kommandanten „Ruben“, der seine ehemaligen Truppen für die Pläne Godoys mobilisiert hatte, sich nicht von den Politikern vereinnahmen zu lassen. Die Contras, die im übrigen ihre Waffen nur zum Teil niedergelegt haben, hätten keine politischen Ambitionen, sondern wollten das ihnen versprochene Land. Der dritte Brief richtet sich an die Staatschefin und enthält die dringende Bitte um Erlaubnis zur Ausreise in die USA für eine bevorstehende Herzbehandlung. Pressesekretär Danilo Lacayo versicherte mehrmals, daß Sanchez nicht ins Exil geschickt werde, sondern jederzeit zurückkehren könne. Anschuldigungen von Cecilia Sanchez, der Ehefrau des ehemaligen Contra-Chefs, die in Miami erklärte, ihr Mann sei gefoltert und vor die Alternative „Tod oder Exil“ gestellt worden, wies Innenminister Carlos Hurtado entschieden zurück. Dem Verschwörer sei die Ausreise aus rein humanitären Erwägungen gestattet worden.
Mehr als zwei Wochen lang hatten ehemalige Contras die Straße zur Atlantikküste an mehreren Stellen verbarrikadiert. Wer kein Empfehlungsschreiben von Bischof Pablo Antonio Vega mitbrachte, wurde nicht durchgelassen. Vega, der 1986 von den Sandinisten ins Exil geschickt worden war, hatte jahrelang als Militärseelsorger der Contras in Miami und in den Lagern in Honduras fungiert. Ein Unterstützungskomitee von Bürgermeistern der Region legte der Regierung am 6. November einen ultimativen Forderungskatalog vor: Darin verlangten sie unter anderem die Absetzung von Präsidialminister Antonio Lacayo, Innenminister Carlos Hurtado und Armeechef Humberto Ortega. Alle drei werden als Handlanger der Sandinisten betrachtet. Polizei und Armee sollen aus der Region abgezogen und durch eine sogenannte Landpolizei aus ehemaligen Contra-Kämpfern ersetzt werden. Vizepräsident Virgilio Godoy, der als Widersacher der Präsidentin kaltgestellt ist, solle endlich einen Aufgabenbereich und ein Büro bekommen. Neben Godoy und einer Anzahl ultrarechter Abgeordneter stellte sich auch der Unternehmerverband COSEP hinter die Forderungen der Aufständischen. Der ehemalige Contra-Kommandant Franklyn hingegen verurteilte die Aktionen.
Als die Ex-Contras am 15. November auch die strategische Brücke von Sebaco besetzten, über die 100 Kilometer nördlich von Managua der gesamte internationale Verkehr geht und die die wichtigen Städte Esteli und Matagalpa mit der Hauptstadt verbindet, schritt die Polizei ein. Auf gutes Zureden reagierten die Besetzer überhaupt nicht, auf Tränengasbomben antworteten sie mit Handgranaten: Vier Polizisten wurden getötet, 17 weitere verletzt. In der Folge gelang es aber Polizei und Armee, in einer unblutigen Aktion nicht nur Sebaco, sondern auch die Straße zum Atlantik wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die ehemaligen Contras halten jetzt nurmehr ein paar Kirchen, darunter die Pfarrkirche von Kardinal Obando in Managua, und etliche Regierungsdependencen in der Provinz besetzt.
Ursache für die Unzufriedenheit der ehemaligen Contas ist das uneingelöste Versprechen der Regierung, allen Demobilisierten Land zur Verfügung zu stellen. Zwar konnten über viertausend Familien bereits angesiedelt werden, doch warteten mindestens zweitausend Ex-Contras noch auf ihr Grundstück. Aristides Sanchez soll die Besetzungen, die den Verkehr und Handel im östlichen Landesteil mehr als zwei Wochen lang lähmten, koordiniert haben. Kommunikationsgerät und verschlüsselte Meldungen wurden in seinem Haus sichergestellt, geheime Waffenlager wurden ausgehoben. Weitere Besetzungen im Norden haben inzwischen vier Gemeinden von der Umwelt abgeschnitten.
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