Strangemen, Lolitas und The Perc Meets The Hidden Gentleman

■ Huldigungen aus der Berliner Enge an die amerikanische Weite

Die Amerika-Sehnsucht der deutschen Musik wird hier von Berlins Lieblingen geballt und komprimiert vorgeführt. Bei aller Popularität des britischen Dance-Wahns orientieren sich hiesige Bands doch liebend gern an den Mythen des dreckigen Rocks, der von der Straße oder aus der Wüste gekrochen kommt. Deren Aufarbeitung durch zahllose neue US-Bands hat in ganz Europa die direkteste Wirkung erzielt, bis hin in ländliche Gegenden wie Aurich, wo die Strangemen sehr unbekümmert ihrer Begeisterung für Hüsker Dü und die Wipers Ausdruck gaben.

Weil die USA weit weg und Berlin als amerikanophile Metropole näher lag, zogen sie ebendort hin und etablierten sich mit Melodie und Härte in der Gitarren-Szene. In Friesland hätten sie wahrscheinlich auch nie die Aufmerksamkeit von Ex-Hüsker Dü- Trommler Grant Hart auf sich ziehen können, ihr Vorbild, das sie schon immer gern zum Freund gehabt hätten. Von Berlin aus brachten sie es sogar zu Harts Begleitband auf seiner ersten Solo-BRD-Tour. Fan Rudi Freese war darob so ergriffen, daß ihm auf der Bühne glatt die Brille von der Nase rutschte — echt rührend.

Mr. Hart gefiel die Ehrerbietung, Berlin anscheinend auch und er hielt sich länger hier auf, um für die Strangemen dann auch den fälligen Produzenten-Job zu übernehmen. Auf dem Ergebnis »Best Chenc« klingen die Epigonen, wie jetzt erst recht geschrien wird, weniger nach ihren Vorbildern als je zuvor. Richtig ernsthaft wird an den Einflüssen gearbeitet, kämpft die Band um ihr »Eigenes«, anstatt munter zu zitieren. In der Blues- und Hardrock-Schaffe geht der frühere Charme leider verloren, doch sind die Strangemen wiederum auf bestem Minneapolis-Weg zur Stilvielfalt, ohne je selbst dort gewesen zu sein, oder!?

Die Lolitas waren schon öfter auf der anderen Seite, um ihre Lieblinge direkt vor Ort als Produzenten zu gewinnen, was ihnen im Falle von Alex Chilton in Memphis und Chris Spedding in New York auch gelang. Bei ihrer ungebrochenen Rock'n‘Roll-Zelebrierung hat die Beziehung zu den Größen etwas augenzwinkernd Schalkhaftes. Die Lolitas schmücken sich mit Cowboy-Accessoirs und pflegen einen kitschigen 50er Jahre-Stil. Der französische Gesang setzt der ansonsten uramerikanischen Musik die Ironie-Krone auf und schafft die nötige Distanz zum Original, um sich ausgelassen in dessen Ästhetik wälzen zu können.

Mit der Ausgelassenheit hat Emilio Winschetti so seine Schwierigkeiten, weil er sich schon immer zu stark mit Velvet Underground und Sixties-Psychedelia identifizierte. Und da er in einer deutschen Millionenstadt und nicht an der atlantischen oder pazifischen Küste lebt, ist er melancholisch geworden. In seinem Duo-Projekt The Perc Meets The Hidden Gentleman will er dieses Grundgefühl ausleben, was zum Großteil gelingt, wenn sich beide nicht in elektronischen Soundspielen verheddern und zirpend verschwinden. Die Gefahr besteht bei dem unsteten Charakter Winschettis denn doch.

Anyway, America calls, und nachdem auch ich die berühmte Weite des Landes, die selbst in größeren Städten gegenwärtig ist, erleben durfte, kann ich die musikalischen Huldigungen aus der Berliner Enge mehr denn je goutieren. Schwalbe

Ab 20.30 im Loft