: Die Arbeitgeber der Worte
■ Acht Stunden Lesung im Bellevue
Enno Edzard Peter und Cora Schoenmann haben eine »Anzeige« verfaßt, die sie nicht aufgegeben, sondern bei sich behalten haben und zur Verlesung bringen werden. Die Zeit, die sie sich dafür nehmen und dem Publikum zumuten, ist enorm: acht Stunden, ein kompletter Arbeitstag. Literatur für Kiffer?
Die beiden haben offensichtlich Schwierigkeiten, die »Anzeige« anzuzeigen: »Die zeitgenössiche Literatur wird in einen scheinbaren Kontext der Werbeästhetik gestellt und somit als marktgerechtes Produkt präsentiert.« Was ist das?/ Was ist das?/ Tautologie oder Dissimulation?
In einer Inszenierung mulitpler Medien werfen die AutorInnen »Literatur auf sich selbst« zurück, was wohl meint, daß Fetzen aufgelesener Texte, vom auf dem Flohmarkt gefundenen juristischen Lehrbuch über Lebensmittelrecht bis zum Berliner Telefonbuch, zu einem Simulakrum einer Kommunikation wechselseitiger Denunziationen montiert sind.
Aber was nur ist Literatur, die »auf sich selbst zurückfällt«? Worte arbeiten für die herrschende Organisation des Lebens; die Macht gibt nur die falsche Kennkarte der Worte. Sie erzeugt nichts, sie vermanscht nur. Die Umkehrung der Worte legt Zeugnis ab von der Entwaffnung der Kritik, die sich um Worte zusammengefunden hat. So ist das Wort »Revolution« das Grundwort jeder Werbungsroutine. Seit diese Argumentation in der achten Ausgabe der Zeitschrift »Situationistische Internationale« zum Ausdruck gebracht wurde, ist das kurzschlüssig kreierte Spiel, Kritik Kritik sein zu lassen und stattdessen die Subversion des Spektakels in Dekonstruktionsbewegungen »von selbst« herzustellen, ein außerordentlich beliebtes.
»Zur gleichen Zeit, in der die moderne Kunst sich bis zur Reduzierung auf das Nichts und das Stillschweigen weiterentwickelte, mußten die Produkte dieser Auflösung immer mehr benutzt, überall zur Schau gestellt werden und verbreitet werden können — und zwar deshalb, weil diese Entwicklung die Nicht-Kommunikation, die sich effektiv überall in der Gesellschaft eingerichtet hat, ausdrückte — und bekämpfte. Jetzt ist es Notwendigkeit der Macht, die Leere des Lebens mit der Leere der Kultur auszustatten.« (Die Abwesenheit und ihre Zurichter, in: Situationistische Interantionale No. 9, 1964) Die Implosion der Imagination »Postmoderne« war daher von jeher nur eine Frage der Zeit. Denn Literatur, die »auf sich selbst zurückfällt« ist Nichts, ein autopoetisches, subjektloses System, in dem wieder und wieder die Übertragung von der Leere des Lebens in die Leere der Kultur nachvollzogen wird.
Da ist es immerhin verdienstvoll, daß Peter/Schoenmann als »zeitgenössische Literatur« keine zeitgenössische Literatur verwenden. Und immerhin benötigt die »Anzeige« ein System menschlicher Rollen als Träger dieser Leere. Trotzdem fällt möglicherweise mehr als nur die multimedielle Anzeige der »Anzeige« vermittels dreier beduetungslos hingekrakelter Phalli auf die AutorInnen zurück. Die spezifische Spannung nämlich, die dieser Lesung zugrunde liegt, ergibt sich nicht aus der von Peter/ Schoenemann festgestellten Konfliktualität zwischen Literatur und Werbung, sondern aus der Konfrontation der Lesenden mit dem Publikum. Wie viele halten durch? Welche Akte mißlungener und geglückter Kommunikation werden passieren?
Ganz im Gegensatz zu Peter/Schoenemann kurz und knapp und womöglich in Abwesenheit wird zum Auftakt der »Anzeige« M.-Fritz Koenig aus seiner fintenreichen nasalen Kurzprosa vortragen. Koenig schreibt einfach gut und bedarf zu seiner Ankündigung keiner weiterführenden Leseips. Wenn Berlin-Charlottenburg nur irgendwie mit dem Londoner Südosten vergelichbar wäre, ja dann wäre er glatt der hiesige Wild Billy Childich arthur kritzler
20 Uhr im Bellevue, Flensburger Str. 13, 1-21
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen