: Zehn Jahre Knast für das große Vorbild der Yuppies
Junk-Bond-Schöpfer Milken verurteilt, gründliche Aufklärung vermieden ■ Aus Washington Rolf Paasch
Die 80er Jahre sind endgültig vorbei. Der Junk-Bond-König und Börsenverbrecher Michael Milken (44) muß die 90er Jahre im Knast verbringen — oder wenigstens einen guten Teil davon, wenn er nach guter Führung vorzeitig entlassen werden sollte. Nach vierjähriger Untersuchung, dem Studium von einer Million Börsentransaktionen und einem Deal mit der Anklagevertretung ist der Erfinder des sogenannten Junk- Bond-Marktes am Mittwoch in New York zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden.
War jener 40jährige Prototyp des Börsen-Yuppies ein Finanzgenie oder der größte Schwindler aller Zeiten? Der Streit darüber und über den volkswirtschaftlichen Schaden der hochriskanten Anleihepapiere (siehe Kasten) wird auch nach diesem Urteil weitergehen. Doch Richterin Kimba Wood, die für Milkens eingestandene sechs „technischen Börsenvergehen“ zwischen 28 Jahren Haft maximal und ein paar Wochen Sozialarbeit minimal wählen konnte, hat mit ihrem Urteil zumindest einer drohenden öffentlichen Empörung vorgebeugt: nämlich darüber, daß Wirtschaftsverbrecher in den USA im Vergleich zu den gemeinen Kriminellen allzu oft ohne Haftstrafen davonkommen.
Eine wirkliche Aufklärung über die Straftaten Milkens, der aus der Chefetage der einst renommierten und jetzt pleitegegangenen Firma Drexel Burnham Lambert seine sogenannten „Schrottanleihen“ an die Firma brachte, Wertpapiere verschob und Geschäftsübernahmen inszenierte, konnte jedoch auch dieser Prozeß nicht bringen. Milken, der bei der Vermittlung solcher Deals zeitweise ein Jahreseinkommen von über 500 Millionen Dollar bezog, war bald zum unangefochtenen Manipulator schlüpfriger Takeovers aufgestiegen — und damit zum Symbol für die Geldgier der 80er Jahre.
Ehe der aufgeflogene Insider- Dealer Ivan Boesky auch seinen Kollegen Milken hochgehen ließ, hatte Drexel unter dessen Führung die Tresore der expansionsgeilen Sparkassen und Versicherungen des Landes mit den heute fast wertlosen Junk-Bonds gefüllt. Heute, nach der kollektiven Pleite von über 1.000 Sparkassen, ist das kreative Börsengenie Michael Milken zumindest indirekt für einen auf rund 75 Milliarden Dollar geschätzten Flurschaden in der amerikanischen Finanzindustrie verantwortlich.
Der eigentliche Skandal liegt jedoch weniger in der Figur des Michael Milken, sondern in der Tatsache begründet, daß er und eine ganze Bande von Wirtschaftskriminellen ihr Unwesen jahrelang völlig ungestört treiben konnten. Fixiert auf die Reagan-Ideologie der magisch funktionierenden Märkte schauten die Aufsichtsbehörden entweder scheu zur Seite oder wurden nach dem Aufnehmen einer Fährte von ihren politischen Vorgesetzten gleich wieder zurückgepfiffen.
Schon allein die Tatsache, daß die Staatsanwaltschaft Milken zur Vermeidung eines langwierigen Prozesses 92 von 98 Anklagepunkte erließ — und 200 möglichen weiteren gar nicht erst nachging — deutet auf ein mangelndes Interesse politischer Kreise an einer vollständigen Aufklärung der Finanzkriminalität in den so skandalös einträglichen Achtzigern hin. Zur Beschränkung auf sechs Anklagepunkte gehörte auch, daß Milken zuvor eine Geldstrafe von 600 Millionen Dollar gezahlt hatte. Zahlreiche US-Amerikaner konnten aufatmen, als dieser Deal zwischen Anklage und Verteidigung abgeschlossen wurde — denn viele einflußreiche Figuren waren in die Plünderung der Sparkassen und die mit Junk-Bonds finanzierten Mega- Fusionen verwickelt: vom Big Business über die CIA, die Mafia und andere ehrenwerte Familien bis hin zu den Sohnemännern George Bushs.
In diesem Sinne war Milken nur das Opferlamm für die finanziellen Exzesse der Dekade, wenn auch ein schuldiges. So allein wie bei dem Urteilspruch am Mittwoch dürfte er bei der Entfaltung seiner kriminellen Energien nie gewesen sein. Wenn er die 1.800 Stunden gemeinnütziger Arbeit verrichtet hat, zu denen er ebenfalls verdonnert wurde, dürfte sich daran nicht viel ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen