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„Gladiatoren“ auch im Lande Wilhelm Tells

Die Untergrundarmee in der neutralen Schweiz gründete sich in 50er Jahren/ Kontakte zur Nato und Kanäle nach Pullach  ■ Aus Basel Thomas Scheuer

Neues aus der Welt jener Nato-Geheimbündler die Westeuropa jahrzehntelang mit einem Netz von unkontrollierten Agentenkommandos, Waffendepots und Sabotagetrupps überzogen, wird von einem Untersuchungsausschuß des schweizerischen Parlamentes erwartet, der das eidgenössische Militärministerium durchleuchtete und heute in Bern seinen Abschlußbericht vorlegt.

Fest steht, daß in der Schweiz seit 1950 eine „Geheime Widerstandsarmee“ existierte, die im Falle einer Niederlage der Armee den Widerstand gegen die Besatzungsmacht organisieren sollte. Ihre Struktur ähnelt auffallend derjenigen der jetzt unter dem Schlagwort „Gladio“ bekanntgewordenen Nato-Geheimtrupps. Angegliedert waren die Geheimkommandos der „Untergruppe Nachrichten und Abwehr“ (UNA) im Generalstab, also dem Geheimdienst. Erst vor wenigen Wochen beschloß die Regierung die Auflösung der Geheimorganisation. Obwohl sie eine Eigenkreation der Schweiz nach dem Vorbild der französischen Résistance war, bestanden Kontakte zu entsprechenden Nato-Strukturen. Schweizer Untergrundoffiziere sollen mehrmals an Gladio-Meetings teilgenommen haben. Der belgische Geheimdienstoffizier und Ex-Gladiator Andre Moyen erklärte diese Woche: „Ich traf zu Beginn der 50er Jahre mehrere hohe Schweizer Offiziere in Bern. Sie versicherten mir, sie seien daran, ein ähnliches ,Gladio' aufzubauen, wie es in Italien schon seit 1946 existierte.“ Die hiesige Presse spekuliert nun, ob die helvetischen Geheimkommandos gar auf amerikanischen Wunsch installiert wurden und fragt, ob „Schweizer Offiziere insgeheim Nato-Pläne ausführten“. Solche Fragen bergen eine enorme politische Sprengkraft in einem Land, daß stets seine Neutralität herauskehrt.

Ende der 70er Jahre war die eidgenössische Schlapphut-Zunft schon einmal dick in die Schlagzeilen gerutscht. Der UNA-Oberst Albert Bachmann, Chef des hochgeheimen „Spezialdienstes“ (Spez D), hatte nebenbei einen privaten Geheimdienst aufgezogen. Über Tarnfirmen kaufte er Hotels in Irland und Grundstücke in Kanada, um dort im Besatzungsfall eine Exilregierung einzuquartieren. Mit der Zeit verschwammen die Grenzen zwischen offiziellen und privaten Aktivitäten Bachmanns. Interne Kritiker wurden diszipliniert oder versetzt. Angeblich betrieb der Geheimobrist einen regen inoffiziellen Nachrichtenhandel mit ausländischen Geheimdiensten. So soll, vorbei an den offiziellen Kanälen, unter dem Decknamen „Schwarze Hand“ ein reger Informationsfluß zum Bundesnachrichtendienst in Pullach gesprudelt haben. Zu Bachmanns Tarnfirmennetz gehörte nicht zuletzt eine Niederlassung in der BRD. Bachmanns unrühmlicher Abgang weist operettenhafte Züge auf: Ein UNA-Spionagelehrling wurde 1979 in Österreich beim Ausspähen von Militärmanövern erwischt. Die peinliche Panne löste eine schwere Verstimmung zwischen den beiden neutralen Nachbarstaaten aus und kostete Bachmann den Job. Richtig untersucht wurden seine Machenschaften jedoch nie.

Schlimmer erging es dem Brigadier Jean-Louis Jeanmaire. 1976 wurde er auf offener Straße verhaftet und als „Jahrhundertverräter“ nach einem geheimen Militärgerichtsprozeß zu 18 Jahren Knast verurteilt. Jeanmaire beteuert bis heute seine Unschuld und kämpft um die Wiederaufnahme seines Verfahrens. Der Hintergrund: Mitte der 70er wähnte der CIA ein Leck im schweizer Dienst; die Amis drohten, die Schweiz so unzuverlässig wie ein Ostblockland einzustufen, also vom Informationsfluß auszuschließen. Möglicherweise wurde Jeanmaire geopfert, um das wahre „Leck“ zu decken. Die Aufklärung der Affäre wurde bis heute von oberster Stelle verhindert. Als UNA-Dissidenten vor Jahren einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß brisantes Material zuspielten, ließ die Militärführung die Akten der Parlamentarier (!) kurzerhand beschlagnahmen und für geheim erklären.

Verspäteter Aufschluß über die Hintergründe dieser Affären — und natürlich über die helvetischen Gladio-Connections — werden nun von einem Parlamentsausschuß erwartet. Er wurde lange vor den ersten Gladio-Gerüchten eingesetzt und hat eine komplizierte Vorgeschichte. Nachdem die Justizministerin Elisabeth Kopp letztes Jahr über den bislang größten Geldwäscherskandal gestolpert war, untersuchte eine erste parlamentarische Untersuchungskommission, die PUK I, die Vorgänge im Justizministerium und deckte quasi als Nebenprodukt einen gigantischen Staatsschutzskandal auf: Eine bis dahin unbekannte Datei der politischen Polizei mit 900.000 Karteikarten über Personen und Organisationen — eine reife Leistung bei einer Gesamtbevölkerung von sechs Millionen. Bestimmte Vermerke wiesen auf die Existenz entsprechender „Sammlungen“ auch im Verteidigungsministerium hin. Um die Dunkelkammern der Militärs zu durchleuchten, bildete das Parlament eine zweite Untersuchungskommission, die PUK II, die nach monatelanger Arbeit hinter verschlossenen Türen heute ihren Bericht vorlegt.

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