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Gleitgeige unter Ampeln

■ Die Berufsperformerin Laurie Anderson mit einem Einschlafprogramm im ICC

Es war eine Märchenstunde. Ein Tranquilizer-Congress-Concert. Noch die SFB-Kindersendung Ohrenbären entwickelt eine rasende Dynamik im Vergleich zu diesem Gesamtkunstsandmännchen von Laurie Anderson. Sie ist ja wohl ein nettes Sandmännchen mit je nach Licht manchmal flammend rotem Haar, mancher Zuschauer wird sie daran aus der Ferne seines ICC-Sitzplatzes gerade noch als Streichholz ausgemacht haben.

Sie hat noch immer eine hübsche Silhouette mit ihrer Geige, wenn sie einfach vor einem Lichtkegel steht. Wenn sie jedoch wie am Donnerstag abend vor allem vor den Leinwänden hin- und herwandert, zehn an der Zahl, wenn sie alle einzeln eingesetzt sind, verschwindet sie in dem projizierten Autoverkehr, zwischen den marschierenden Japanern, vor dem Bilderbuchstreifen, der von Stofftieren über sich drehende Schlittschuhe und Taschenlampen bis zu Hi-Fi- Deck-Großaufnahmen und Aktenschrankvorderansichten alles enthält. Ihre »visuals«, alberne Illustrationen, haben nur ikonographische Qualität, keine eigene Bildkraft, gegen die Laurie Körper und Stimme erheben könnte wie damals noch in der Freien Volksbühne, als sie sich beispielsweise dem projizierten Radarschirm entgegenstellte. Jetzt geht sie nicht mehr gegen die Leinwände an, läßt sich von diesem tiefelosen Bilderstreifen zuspülen, der gegen Ende in einem USA-Werbeprospekt kulminiert.

Sie erzählt, daß sie in ihren Träumen ein kleines Mädchen ist, das unter einem Schreibtisch sitzt. Sie hat sich vollkommen in diese Rolle des kleinen Mädchens hineinbegeben, singt von Kaninchen, Hühnern und Mäusen, von Millionen Sternen und Kometen und von Tränen in einem Fluß, von Engeln, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit entziehen, sie singt das meiste auf deutsch, und wenn mal auf englisch, wird der Text deutsch eingeblendet — hätte sie es doch nicht getan, hätte sie uns nicht so deutlich verraten, daß sie ein Sterntalerkind geworden ist, das die Schürze aufhält, um die Liebe des Publikums darin einzufangen. Aber auch ohne Text wurde es klar: Die vorfabrizierte Musik, über die sie gleichförmige elektronische Geigen- und Klaviertöne legte, die Synthesizerkonserve allein genügte, einen vom sphärischen Abflug der Laurie zu überzeugen und davon, daß sie nurmehr harmonisches Gleiten will.

Gelegentlich, nur ganz gelegentlich erschien eine Laurie, wie man sie kannte, die komische Geschichten einfach erzählt: daß sie Japanisch von jemandem, der stottert, gelernt habe und das Stottern jetzt fester Bestandteil ihres Japanischs sei. Sie imitiert Ronald Reagan, ruft mit seiner Stimme zum Weltbund der Cowboys auf. Sie polemisiert gegen den Pornographieparagraphen und erzählt von einer Demo für »women rights«. Manchmal schlägt sie nur mit einem Stöckchen Lautfolgen auf einem Keyboard, dann ist es erträglich und Laurie präsent. Dann jedoch bricht wieder der Synthie-Schwall auf einen herein, Laurie stimmt ein Mondgeheul an, wird Lufttänzer, und Ampeln blinken — daß manche Zuschauer sich schon im zweiten Song gegen das Einschlafprogramm mit Buhrufen gewehrt haben, hat sie wohl verärgert, sie redet von Kopfweh und tritt ohne Zugabe ab. Michaela Ott

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