: Erdbeeren im Schnee
■ »Heino-Land« in der Galerie Zwei Be
Einer bringt's zu Weihnachten noch mal auf den Punkt: der Engel guckt absolut dumm aus der Wäsche, hat dicke öde Pausbacken, Schweinsaugen mit dem nihilistischen Gefühlsgaraus. Das Rehlein, auf dem sie, die Engelin, reitet, ist gerade aus dem Wolkenkuckucksheim gefallen, und da tobt der Himmel, aber das Rehlein ist trotzdem wohlgemut. Wach und zuversichtlich sind allein die Gartenzwerge, mit eine Erdbeere in der Hand, man weiß nie, welche Stiefmutter im Schnee gerade Erdbeeren braucht — und da verflüchtigt sich das Sonnenlicht in den ewigen Wäldern, läufst du zwanzig Meter weiter, fällst du ins Nichts.
Kräftige Farben trällern treffsicher von vier großen Leinwänden, die Horst-Martin Herrmann in der Galerie Zwei Be zeigt. Es ist ein unscheinbares Kellerverlies mit einem sehr romantischen Kohleofen und sonst gar nichts, eben er Horst-Martin, wie er dort auf dem Stuhl sitzt und friert, und dann die epochalen Riesensentimentalitäten, die mit ihrer Welt nicht zurechtkommen. Eigentlich sind es Wünsche, auch Oblaten genannt, die, naturalistisch ums fünfhundertfache vergrößert, vor tobsüchtigen Landschaften stehen, in all den Wonnemonaten, die das Jahr bieten kann.
Hänsel und Gretel sind auch da, könnten auch Heidi mit Jugendliebe genannt werden, der Himmel schwillt darüber lila an, etwas Böses tun sie nicht, ganz und gar nicht, dazu heißt auch die Serie »Heino-Land«, wo aller Träume Anfang und Ende liegen. Es ist die kleine Rache an der enttäuschten Welt: Schuld hat vielleicht Rotkäppchen, weil sie ganz zaghaft ihren Blümchenkorb festhält und es die Welt von Caspar David Friedrich einfach nicht mehr gibt. Stämmig und adrett, aber ohne Häubchen steht sie da zwischen Ackerfurchen aus dem Jugendstil. Nur die Gartenzwerge fühlen sich wohl in der Erinnerung, als das Wünschen wirklich noch geholfen hat, denn die Märchenmagie lebt in einer sehr gefährlichen Welt. Sophia Ferdinand
Galerie Zwei Be, Ritterstraße 2b, 1000 Berlin 61, Dienstag bis Sonntag, 14-18 Uhr, bis 2.12.1990
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
