: Alliierte Abhöranlagen jetzt in deutscher Hand
Deutsche Geheimdienste übernehmen in Berlin die Lauschzentralen der Alliierten/ Im Osten Deutschlands werden zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs „Referatsleiter für Fernmelderecht“ eingesetzt ■ Von David Crawford
Berlin (taz) — Die zentralen Einrichtungen zum Abhören von Telefongesprächen, über die die französischen, britischen und US-amerikanischen Nachrichtendienste bisher in Westberlin verfügten, sind mit der deutschen Vereinigung nicht geschlossen, sondern schlicht anderen Benutzern übergeben worden: In der französischen Abhörzentrale sitzt nun der Bundesnachrichtendienst (BND), in der britischen Einrichtung das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) — die Anlage der Amerikaner in Tempelhof wurde von der Berliner Polizei übernommen.
Das Kölner Bundesamt schickte sogar eigens ein Expertenteam nach Berlin, um schon Stunden nach der deutschen Einheit mit der Arbeit, sprich der Überwachung, beginnen zu können. Das Hauptinteresse der Kölner gilt dabei insbesondere den KGB-Büros im Ostteil Berlins und den früheren Offizieren der Staatssicherheit.
Auch das ausgedehnte System der Telefonüberwachung auf den Richtfunkstrecken, wie es entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze gang und gäbe war, kann nun einer neuen Nutzung zugeführt werden. Die Telefonüberwachung läßt sich jetzt viel billiger von den Knotenpunkten des Telefonnetzes aus bewerkstelligen.
Die Post läßt es nicht zu, daß fremde Institutionen den Briefverkehr oder Telekommunikationsverbindungen von Einrichtungen der Post aus überwachen. Die Post zapft daher an den zentralen Telefonknotenpunkten die betreffenden Leitungen an und schaltet parallele Leitungen in auswärtige Abhörstudios. Diese Umschaltung kann auch mit geeigneten Computerprogrammen geschehen. Die Technologie der früheren Stasi-Spitzel war vergleichsweise primitiv.
Gegenwärtig verfügt das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) aber nicht über eine eigene Abhörzentrale. Das Landesamt will die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes abwarten, bis eine solche Einrichtung eröffnet wird. In einer Anfrage an den Senat wollte Renate Künast, AL-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, am 11. Oktober Auskunft darüber, ob es seit dem 3. Oktober Änderungen in der Telefonüberwachung gegeben hat. Innensenator Pätzold (SPD) erklärte daraufhin, daß nach Bundesrecht jedes Landesamt verpflichtet sei, über Einrichtungen zur Telefonüberwachung zu verfügen. In Berlin gebe es dafür aber gegenwärtig weder die gesetzlichen noch die technischen Voraussetzungen.
Eine neue Abhörzentrale ist im wesentlichen nur für das Berliner Landesamt von Bedeutung — und für die Nachrichtendienste, die in den fünf neuen Bundesländern aufgebaut werden. Das Kölner Bundesamt, der BND und der Militärische Abschirmdienst (MAD) könnten ihren Betrieb ohne Probleme von Westdeutschland aus fortsetzen. Wenn sie trotzdem die Einrichtungen der Alliierten in Berlin übernehmen, hat dies vor allem den Vorteil, daß sie gleichzeitig das dort ausgebildete und sicherheitsüberprüfte deutsche Personal übernehmen können.
Wenn bundesdeutsche Nachrichtendienste den Post- oder Telefonverkehr überwachen wollen, ist die Post durch das G-10-Gesetz zur geheimen Amtshilfe verpflichtet. Der BND, der MAD sowie die Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz dürfen Briefe öffnen oder Telefone abhören, sobald ein Vertreter des Innenministeriums eine entsprechende Anordnung des G-10-Ausschusses unterzeichnet hat. Darüber hinaus kann die Polizei nach der Strafprozeßordnung Abhöraktionen durchführen, wenn eine entsprechende Anordnung von einem Richter unterschrieben wurde.
Innerhalb der Bundespost sind die „Referatsleiter für Fernmelderecht“ zuständig, die Einhaltung der gesetzlichen Grundlagen bei der Post- und Telefonüberwachung zu kontrollieren. Neu eigerichtet werden jetzt die dafür nötigen Dienststellen im Osten Deutschlands: In Potsdam, Magdeburg, Rostock und Erfurt. Unklar ist nur noch, ob die Stelle für das Bundeland Sachsen in Leipzig oder in Dresden oder sogar in beiden Städten errichtet wird.
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