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Die Vorzüge des Wassermannes

■ Eine gewöhnliche Liebesgeschichte von Rachel Ingalls

Nur flüchtig wundert sich Fred Caliban, was seine Frau Dorothy täglich mit zwanzig Avocados anfängt. Ihre hastige Erklärung einer brandneuen Avocadodiät erscheint ihm als hinreichend plausibel, um sich unbesorgt in wartende Taxis zu schwingen und wiederum unterwegs zu sein — „geschäftlich“. Schon seit Jahren betritt er sein Haus nur zum Krawattenwechsel und Zwischenmahlzeit. Übernachtungen finden im separaten Schlafzimmer statt. Wie wir es von einer unverkennbar US-amerikanischen Mittelstandsehe sowieso nicht anders erwarten, führen Freds kleine Fluchten aus der alltäglichen Ödnis zu seinen notdürftig geheimgehaltenen Liebschaften, während Dorothy mit ihrer geschiedenen Freundin Estelle ab und an bei einem Kaffee zusammensitzt, um in trügerischer Eintracht die Welt im allgemeinen und die Männer im besonderen zu durchschauen: „Diese Bastarde!“

Wenn Dorothy Zwiebeln und Knoblauch schneidet, bindet sie sich ein Geschirrtuch um den Kopf, damit ihr Haar keinen Geruch annimmt. Nach dem Tod ihres einzigen Kindes gilt Dorothys letztes lethargisches Engagement der Küchenarbeit, der Gymnastik zu Radiomusik und der Zucht apfelförmiger Gurken. Als sie ihr Gemüsebeet eines Morgens kahlgefressen vorfindet, hat ein möglicherweise außergewöhnliches Abenteuer gerade begonnen: Larry, beheimatet im Golf von Mexiko, ist aus dem Jefferson-Institut für Ozeanographie entflohen und hat bei Dorothy Unterschlupf gefunden. Weit auseinander- und hervorstehende Augen und zarte Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen irritieren Dorothy nur kurzfristig. Scheu, freundlich und sensibel erringt Larry, der seine Wärter gevierteilt und geköpft im Institut zurückgelassen hat, die bald leidenschaftliche Zuneigung seiner Wirtin. Während die Wissenschaft in ihrem abhanden gekommenen Fang ein brisantes Forschungsobjekt vermißt und die Presse die Hatz auf ein unberechenbar bösartiges „Monster“ eröffnet, empfindet Dorothy die erste zufällige Berührung mit der fremden grünen Haut als „angenehm“.

Unbemerkt von Fred lebt Larry im Gästezimmer, vertreibt sich die Zeit vor dem Fernseher, duscht gern ausgiebig und läßt sich Avocados schmecken. Die Indizien mehren sich, daß das Ungeheuer sich von einem Menschen kaum unterscheidet. Von Männern dagegen unterscheidet sich Larry erheblich: Er findet Hausarbeit interessant, zeigt sich anstellig und ausdauernd höflich und verfügt in schier unendlichem Maß über das, was ein poesieloser Kerl wie Fred vermutlich „Potenz“ nennen würde.

Dennoch: Mrs. Calibans Geheimnis ist weniger eine skurrile als eine im schlichtesten Sinn romantische Liebesgeschichte, in der die bekannten Stationen einer konspirativen Passion routiniert durchlaufen werden. („Wie würde ein Kind von Larry wohl aussehen?“ sinniert Dorothy. Doch sie wird nicht geschwängert.) Die holprigen Verständigungsversuche zwischen Liebenden aus zwei einander unbekannten Welten bleiben ein mit der Fabel nur lose verbundenes Beiwerk, Vehikel einer unbeholfen globalen Gesellschaftskritik, die in der Ausgangsfrage Larrys auch schon ihren Höhepunkt findet: „Ist das normal?“

Zweifellos nicht normal sind gewisse idiotische Fernsehsendungen, die menschlichen Kleidervorschriften, überhaupt die ganze Infrastruktur des angeblich humanen Miteinanders, und, nicht zu vergessen, das heimtückische Kidnapping von unschuldig plantschenden Wassermännern. Wir haben verstanden. Wo immer „Wildnis“ und „Zivilisation“ aufeinandertreffen, obliegt es dem Wilden, Lektionen zu erteilen, deren naiver Charme dankbar und folgenlos goutiert werden kann. Dorothy hat es schon immer geahnt: „Mittlerweile ging es doch überall so krumm zu wie früher nur im Immobiliengeschäft.“ Genau.

Daß es „krumm“ vor allem zwischen Männern und Frauen zugeht, ist Dorothys unbestreitbare Erfahrung und wohl die zentrale Botschaft Rachel Ingalls', die mit Mrs. Calibans Geheimnis ihren ersten Roman vorlegt. Umso bedauerlicher ist die Geradlinigkeit, mit der die Autorin die lang brachgelegene Sehnsucht Dorothys nunmehr einem heimwehkranken Nix zutreibt. Dessen andere Welt ist, so diffus sie bleibt, gewißlich die bessere. Es ist dort eben alles „wie Musik“, und, immerhin: Unter Wasser richten sich die Paarungsgewohnheiten nach den Wünschen der Weiber. Rachel Ingalls' ohnehin dubioser Entwurf eines so froschäugigen wie frauenfreundlichen Antihelden scheitert jedoch bereits auf Seite 46: Als Larry Dorothy zum ersten Mal und noch unbeholfen den Bademantel vom Körper streift, fragt er: „Hast du Angst?“ — „Natürlich.“ — „Ich nicht. Ich fühle mich gut.“ In ihrer unfreiwilligen Demontage des idealen Liebesgefährten ist diese Passage auch schon die komischste des ganzen Buches, eines Buches übrigens, das anläßlich seines Witzes und seiner Kühnheit in England und den USA zum „modernen Klassiker“ hochgelobt worden ist.

Es scheint, als habe Rachel Ingalls schließlich selbst genug von Larry gehabt. In einem Inferno sich unmotiviert überschlagender Ereignisse, dem beinahe das gesamte Personal des Romans zum Opfer fällt, bringt sie ihre ziellose Lovestory zu einem abrupten Ende. Daß Dorothy, nachdem Larry sie — heimwärts — verlassen hat, nicht mehr recht weiß, ob es ihr „Geheimnis“ je gab, ist eine wirklich lästige Pointe, die unvorbereitet und altklug noch rasch die kosmische Kardinalfrage stellt: „Was ist Wirklichkeit?“

Doch unabhängig davon, ob Larry heute wieder im Golf von Mexiko herumschwimmt oder nicht: Mrs. Calibans Geheimnis ist nicht einmal eine Badewannenlektüre. Esther Röhr

Rachel Ingalls: Mrs. Calibans Geheimnis . Roman. Aus dem Englischen von Werner Löcher. Hoffmann und Campe Verlag, 176 Seiten, 29,80 DM

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