: EG-Fußball: Einer wird gewinnen
Dem RSC Anderlecht reicht ein Tor und das Vertrauen in Dortmunds Heimschwäche ■ Aus Brüssel Roger Krenz
Während Zigtausende von hochbezahlten Eurotechnokraten in den Bürohochhäusern der EG-Metropole an einheitlichen Normen für den gemeinsamen Binnenmarkt 1992 basteln, zeigten deutsche und belgische Profikicker schon, wie die nivellierte europäische Gesellschaft in Zukunft aussehen wird.
Einheitliche Kampfstärke, von einer gemeinsamen Kommission gesetzte taktische Standards und auf EG-Normen formierte Abwehrbollwerke. Für den an taktischen Finessen interessierten Zuschauer durchaus eine Spielweise mit hohem Unterhaltungswert. Was fehlt, sind packende Strafraumszenen und Torchancen. Beides blieb im luxuriösen Van der Stock-Stadion des Brüsseler Vorortes Anderlecht Mangelware.
Kein Mangel herrschte dagegen in den komfortabel ausgestatteten Logen der business-class, die sich wie ein Ring um das ganze Stadionrund ziehen. Als die Putzfrauen des „Royal Sporting Club“ noch eifrig die Glasscheiben der Logenplätze polierten, ließen sich die zahlungskräftigen VIPs von Heerscharen weißbemützter Köche mit üppigen Speisen und erlesenen Weinen verwöhnen. Der Pöbel, der immerhin 25 D-Mark für den billigsten Stehplatz hinblättern mußte, bekam am Stadioneingang dagegen seinen Proviant in Form von Bierdosen konfisziert und hatte sich mit der begrenzten kulinarischen Auswahl eines mickrigen Hot-Dog-Standes zu begnügen.
Auf dem Weg zu europäischen Gemeinsamkeiten präsentierten sich in Brüssel zwei Mannschaften, die von ihrer Spielanlage her ähnlich operieren. Auf dem Spielfeld hielt sich der erwartete Sturmlauf der Belgier in Grenzen. Zwar wurden die beiden Torjäger Niles und der an eine Kreuzung aus Gullit und van Basten erinnernde Brasilianer Oliveira ständig angespielt, aus Angst vor Kontern blieb ihnen jedoch die Unterstützung aus dem Mittelfeld der Belgier versagt. Was dennoch in die Nähe des Dortmunder Strafraums kam, wurde von Libero Thomas Helmer derart eindrucksvoll bereinigt, daß jeder der 5.000 mitgereisten Borussia-Fans genau wußte, warum ein gewisser Hans-Hubert Vogts auf der Tribüne saß. Obwohl der zunächst fitgespritzte Frank Mill nach 20 Minuten verletzt ausschied, wurden die Borussen mit zunehmender Spieldauer frecher.
Die nimmermüden Mittelfeldrenner Lusch und Poschner trieben so manchen Ball in die gegnerische Hälfte, wo vor dem belgischen Strafraum aber auch wieder Endstation war. Dortmunds einziger Stürmer, der Däne Fleming Povlsen, wurde wahlweise von den beiden abgezockten Nationalspielern van Tiggelen (Holland) und de Wolf (Belgien) an der Ausübung seiner Torgefährlichkeit gehindert.
Nach der Pause witterten die BVB-Fans eine Viertelstunde lang sogar die Sensation. Borussias Entlastungsangriffe wurden immer energischer und zielstrebiger, die in der Bundesliga berüchtigte Kontermaschine schien sich warmzulaufen. Bis zur 76. Minute, als die Europacup-Hoffnungen des Bundesligisten auf ein Minimum sanken. Der eingewechselte van der Linden war Nutznießer einer konfusen Situation vor dem Tor von Teddy de Beer.
Normalerweise ist ein 0:1 im Europacup ein im Rückspiel korrigierbares Resultat. Anderlechts holländischer Trainer Aad de Mos gab sich aber angesichts der notorischen Heimschwäche der Westfalen und in realer Einschätzung des eigenen Konterpotentials sehr optimistisch. Die Hoffnungen des Dortmunder Anhangs ruhen nun darauf, daß die Heimmisere beim Rückspiel in zwei Wochen, sei es durch belgische Eigentore, Wegmann-Querschläger oder Elfmetergeschenke, endlich ein Ende findet.
RSC Anderlecht: de Wilde — Kooiman — van Tiggelen, Rutjes, de Wolf - Verheyen (40. Van der Linden), Musonda, Degryse, van Baekel (72. Crasson) — Oliveira, Nilis
Borussia Dortmund: de Beer — Helmer — Kutowski, Quallo, Gorlukowitsch — Lusch (76. Wegmann), Zorc, Rummenigge, Poschner — Povlsen, Mill (20. Strerat)
Zuschauer: 20.000
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