: Skins bedrohen Dresdner Hausbesetzer
Die BesetzerInnen bekommen zwar Mietverträge, und Oberbürgermeister Wagner will auf Gewalt verzichten — aber fast täglich gibt es Überfälle durch Skins/ Die Polizei fühlt sich überfordert ■ Aus Dresden Detlef Krell
„Wenn ich abends unterwegs bin, sehe ich an jeder Ecke nach, wer da kommt, wie er aussieht, welche Schuhe er trägt... Fahren zwei Autos hintereinander, ist das schon verdächtig“, erzählt ein junger Mann im „100“, einem der Szenecafés in der Dresdner Äußeren Neustadt. Obwohl es beste Kneipenzeit ist, herrscht wenig Betrieb. „Fast jeden Abend kommen die Glatzen auch hierher. Mal trinken sie ein Bier, mal randalieren sie ein bißchen oder beschimpfen die Gäste: Kommunistenschweine und so“, berichtet der Kunde. „Am Buß- und Bettag, nachdem sie sich bei Gysi aufgeheizt hatten, zogen sie in die Neustadt und zerdroschen im ,Bronxx‘ und im ,100‘ die Fenster. Aber es kann dir auch passieren, daß du mit einem Palästinensertuch oder irgendeinem linken Sticker am hellichten Tag über die Straße gehst, und dann fassen sie dich.“
600 bis 1.000 Skins sollen in Dresden leben. So jedenfalls schätzen es die jungen DresdnerInnen ein, die von dem „anhaltenden Straßenterror“ betroffen sind. Sie treffen sich zwischen „Bronxx“ und „Tivoli“, „Planwirtschaft“ und „100“ und leben schwarz oder legal in den heruntergewirtschafteten und vernachlässigten Gründerzeithäusern der Äußeren Neustadt. „Wie lange dauert es noch, bis es Tote gibt?“ fragen die Leute aus der Szene — und bekommen meist nur ein Schulterzucken als Antwort. „Ein einziger Skin wurde bisher wegen Waffenbesitzes festgenommen“, erzählt einer, dessen Äußeres in kein Punk- und Skin-Klischee paßt, „aber ich kenne allein vier Neustädter, die mit Waffen bedroht wurden. Das waren schon keine Gaspistolen mehr, sondern richtige!“
Für überfordert erklärt sich die Polizei. Vor diesem Hintergrund empfinden viele HausbesetzerInnen und SchwarzmieterInnen ihre Querelen mit der Stadtverwaltung und der Gebäudewirtschaft zwar als nervenzehrend, doch zweitrangig. „Was nützt mir ein Mietvertrag, wenn mir die Glatzen die Bude zusammendreschen?“ fragt ein Punk beim BesetzerInnentreff im „la Mitropa“. Auch hier sind die Fenster mit Platten vernagelt. Hausfriedensbruch, Einbruch und andere Tatbestände werden nur dann von der Polizei als solche verfolgt, wenn Mietverträge oder wenigstens Nutzungsverträge abgeschlossen wurden.
Nach der Lehrvorführung der Polizei in Berlin, die bei der Räumung in der Mainzer Straße deutlich zeigte, was unter der „Berliner Linie“ zu verstehen ist, haben der Dresdner Oberbürgermeister und die Polizei mehrfach erklärt, daß sie gewaltfreie „Lösungen des Hausbesetzerproblems“ anstreben. Eine „Dresdner Linie“, wie sie in einer Erklärung des Wahlbüros Bündnis 90/Die Grünen/ BürgerInnenbewegungen für Sachsen gefordert wurde, scheint sich anzudeuten. Inzwischen witterten aber auch einige EigentümerInnen Morgenluft. So wurden die BewohnerInnen der Lutherstraße 16 von einer Firma aufgefordert, die Wohnungen innerhalb von acht Tagen zu verlassen, andernfalls würde ihnen Gas, Strom und Wasser abgedreht.
Eine Arbeitsgruppe aller Dezernate der Stadtverwaltung soll Lösungen für die SchwarzmieterInnen und HausbesetzerInnen finden. Gemeinsam mit der Interessengemeinschaft Äußere Neustadt will nun ein SprecherInnenrat der BesetzerInnen in dieser Arbeitsgemeinschaft mitarbeiten. Von 160 SchwarzmieterInnen haben bisher 87 ihre Mietverträge erhalten. Doch solange MieterInnenschutz und Milieuschutz gegen Spekulanten und ein politisches Konzept gegen den Rechtsruck in der Stadt diffus bleiben, ist in der Äußeren Neustadt Skepsis gegenüber der „Dresdner Linie“ angesagt.
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