piwik no script img

Mehr Huhn als Kleist

■ Langhoff inszeniert den »Zerbrochenen Krug« am Deutschen Theater

Der größte Satz an diesem Abend stammt nicht von Kleist. Gerade hat uns der Schreiber Licht per Mauerschau (wenn man das heutzutage überhaupt noch sagen kann) von der Flucht des armen Dorfrichters durchs aufgepflügte Winterfeld berichtet, da tritt der arme Gerichtsrat Walter ein paar Verse später an die Rampe und spricht: »Doch sind die Kassen richtig, wird er wohl auf irgendeinem Platz zu halten sein.« Das ist schön gedichtet, das sind ganz einwandfreie fünfhebige Jamben, der Dichter wäre einverstanden gewesen. Außerdem hatte das Publikum endlich was zu lachen.

Goethe, Schiller und Kleist müssen enorm weitblickende Dramatiker gewesen sein. Jeder von ihnen hat ein Stück über die Wiedervereinigung geschrieben. Goethe den Faust, Schiller die Räuber und Kleist, wie wir jetzt dank Thomas Langhoff wissen, den Zerbrochenen Krug. Immer wieder haben sich Regisseure mit der Frage herumgeschlagen, warum dieses Lustspiel so verdammt tragisch ist. Immer wieder haben sie versucht, dem Rätsel auf den Grund zu gehen, daß hier alle Figuren um ein Haar wahnsinnig werden an der Sprache. Und immer wieder sind Regisseure fast wahnsinnig geworden an diesen kleinen Wörtern, an »Ei, seht!« und »Was?Was?« und »O Himmel« und wie sie nicht sonst noch heißen.

Wir sind erlöst, das ist vorbei, es ist doch alles viel einfacher: Da kommt in Person des Gerichtsrates Walter der Westjurist ins ehemalige Ost-Berlin, mal schauen, wie man dort Gerichtstag hält. Bei Kleist kommt er ins holländische Dörfchen Huisum. Das ist aber egal, denn Kleist meinte Preußen, meinte Ost- Berlin. Und was findet er vor, der Westevaluator? Das pure Chaos, eine einzige Schande: die DDR-Justiz in Person des Dorfrichters Adam. Regellos und ohne jeden Anstand arbeitet diese Justiz, aber ein bißchen sympathisch ist sie doch. Kleist wußte, daß die DDR-Justiz beim Anschluß nicht zu retten sein würde, deshalb plädierte er für Gnade mit ihren Vertretern. »Zur Desertion zwingen will ich ihn nicht«, hat er geschrieben, und an der Stelle hat Langhoff ihm mit dem selbstgemachten Vers eben ein wenig unter die Arme gegriffen.

Eine Weile beschwingt diese neue Deutung den Zuschauer auf dem Heimweg, und dann verschwindet sie ganz sang- und klanglos. Übrig bleiben zwei Stunden Theater, die mit dem, was in den Köpfen des Regisseurs und der Dramaturgin vorgefallen sein mag, rein gar nichts zu tun haben. Übrig bleibt eine Inszenierung, die Kleist zu Tode hetzt, die keinerlei Verständnis hat für das verhängnisvolle Aneinandervorbeireden der Figuren, die nur die Story erzählen will und zwar möglichst flott. Die Story ist ungefähr die: Der Dorfrichter Adam hat zwei Mägde, die er knechtet und prügelt und tritt und an den Haaren zerrt. Dafür rächen sich die Mädchen, indem sie laufend die Verhandlung stören. Hier vergeht kaum eine Minute, in der nicht grundlos ein gerupftes Huhn über die Bühne getragen wird. Die Mägde sind der lebende Beweis, wie herrlich es ist, wenn man sich weder mit der Justiz, noch mit Recht und Gerechtigkeit oder den Abgründen der Sprache herumschlagen muß. Sie sind immer präsent, kichernd und fingerleckend, die Schürzen vollgestopft mit geräucherter Gänsebrust und Käse aus Limburg. Die Dialektik des Zerbrochenen Krugs ist eine Herr-und-Magd-Dialektik. Mit diesem Einfall hat Langhoff seine Schuldigkeit getan, den Rest überläßt er den Schauspielern. Die Hauptfigur des Stücks muß ein dicker, wollüstiger Kerl sein, ein polternder Bär und ein Haufen Elend. Gudzuhn als Dorfrichter Adam ist jedoch spindeldürr und ellenlang. Er krümmt sich wie Nosferatu, um überhaupt unterzukommen auf der kleinen Bühne. Einen gewalttätigen Griesgram spielt er, kein bißchen Sinnlichkeit, nicht eine Spur mehr von Verliebtheit, die ihn in diese böse Sache hereingeschleudert hat. Ein Gespenst verläßt die Bühne und keiner weint ihm eine Träne nach. Langhoff läßt den Varianten spielen. Und da erwachen die Schauspieler aus ihrer manieristischen Erstarrung. Der Dorfrichter ist geflohen, die Sache muß jetzt auf den Tisch. Sein erpresserischer Versuch, Liebe zu erzwingen, hätte fast zwei Menschen das Leben gekostet, jetzt erobern es sich Ulrike Krumbiegel als Eve und Bernd Stempel als Ruprecht mit aller Kraft zurück. Doja Hacker

Der zerbrochene Krug . Regie: Thomas Langhoff. Bühne: Peter Hein. Kostüm: Christine Stromberg. Darsteller: Klaus Piontek, Jörg Gudzuhn, Thomas Neumann, Gudrun Ritter, Ulrike Krumbiegel, Heidrun Perdelwitz, Annelene Hischer u.a.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen