: Chamorros Nicaragua bietet wenig Schutz
Von den ehemals 32.000 salvadorianischen Flüchtlingen in Nicaragua ist fast die Hälfte wieder zurückgekehrt/ Das UN-Flüchtlingskommissariat fühlt sich wegen Geldmangels nicht zuständig/ Einschüchterungsaktionen der Behörden ■ Aus Managua Ralf Leonhard
„Wir wollen zurück — koste es, was es wolle.“ Der 34jährige Celso Santos Lopez wirkt trotz seiner schüchternen und zögernden Redeweise entschlossen. Achtzig salvadorianische Flüchtlingsfamilien, die in Genossenschaften südlich und westlich von Managua angesiedelt worden waren, wollen noch vor Weihnachten die Heimreise antreten. Das UNO-Flüchtlingskommissariat (UNHCR), das eigentlich dafür zuständig wäre, hat die Salvadorianer abblitzen lassen: Das Budget für dieses Jahr sei ausgeschöpft.
Die insgesamt 285 Flüchtlinge wollen sich trotzdem nicht auf nächstes Jahr vertrösten lassen. Das Leben in Nicaragua finden sie wirtschaftlich nicht mehr tragbar: Im billigeren El Salvador wurde ihnen bereits ein Grundstück unweit der Hauptstadt versprochen, das sie besiedeln können. „Außerdem fühlen wir uns in Nicaragua seit dem Regierungswechsel nicht mehr sicher“, fügt Celso Lopez hinzu, „spätestens seit der Razzia im ,CEBES‘“.
Die überraschende Durchsuchung des Geländes, auf dem die ökumenische Basisgemeinde CEBES ihre Büros hat, liegt nicht lange zurück. Am 23. Oktober war die Polizei in Begleitung von Funktionären vor dem Lokal zwölf Kilometer südwestlich von Managua aufgetaucht. Statt eines Durchsuchungsbefehls zeigte Vize-Innenminister José Pallais, der die Gruppe anführte, einen Blankohaftbefehl vor. Hinter ihm drangen an ihren hellblauen Kappen erkenntliche Offiziere der UNO-Beobachtertruppen (ONUCA) und ein Dutzend Zivilisten in das Gelände ein. Die geheimnisvollen Zivilisten kamen aus El Salvador und waren die Auftraggeber der Razzia: Vizeverteidigungsminister Oberst Orlando Zepeda, Vizeaußenminister Ricardo Valdivieso und Botschafter Jorge Velado, der als Vertrauensmann des rechtsextremen Todesschwadronenanführers Roberto d'Aubuisson gilt, nebst ihrem Sicherheitspersonal.
CEBES ist eine ursprünglich salvadorianische, aber inzwischen legal nach nicaraguanischem Recht konstituierte Organisation, die sich gemeinsam mit dem UNHCR um die Repatriierung von Vertriebenen kümmert. Gegen die Beteiligung ausländischer Funktionäre an einer Amtshandlung in einer nicaraguanischen Einrichtung hätten sowohl die Regierung als auch die ONUCA Einspruch erheben müssen. Proteste gab es allerdings nur von nicht regierungsgebundenen Organisationen in Nicaragua und El Salvador.
Nachdem die Uniformierten alles durchwühlt und alle anwesenden Personen, ein antiquiertes Matrizengerät und den Kleincomputer im Büro aus allen Perspektiven fotografiert hatten, zogen sie wieder ab. Eine aus Papiermaché selbstgebastelte Reliefkarte von El Salvador, die von den frustrierten salvadorianischen Funktionären zur Generalstabskarte der FMLN deklariert wurde, und ein paar Flugblätter zum neunten Jahrestag eines Massakers, das die salvadorianische Armee im Dorf Mozote in Morazan angerichtet hatte, nahmen sie mit. Die Vorstandsmitglieder der Basisgemeinde bekamen eine schriftliche Bestätigung, daß weder Waffen noch Radiosender gefunden worden seien. Der Geheimdienst der salvadorianischen Armee hatte nämlich einen vertraulichen Hinweis bekommen, wo in Nicaragua der Untergrundsender der FMLN, „Radio Venceremos“, zu finden sei. Die beiden anderen Adressen, die am selben Tag aufgesucht wurden, erwiesen sich als noch größere Reinfälle: eine Nobelresidenz, wo bis vor kurzem diplomatisches Personal der US-Botschaft gewohnt hatte, und eine Anlage des Transportministeriums.
Im Rahmen des zentralamerikanischen Friedensabkommens „Esquipulas II“ vom August 1987 sind die Regierungen der Region verpflichtet, Aktivitäten von Rebellen anderer Länder auf ihrem Territorium zu unterbinden. Vor dem Zwischenfall im CEBES hatte die nicaraguanische Armee schon siebenmal Hinweisen der salvadorianischen Regierung auf angebliche FMLN-Basen nachgehen müssen. Jedesmal ohne Erfolg. Doch die Razzien in Flüchtlingslagern und Basisgemeinden, eine zunehmend ausländerfeindliche Haltung der Behörden und schließlich die trostlose Wirtschaftslage des Landes haben eine massive Rückwanderung ausgelöst. Ein Kenner der salvadorianischen Szene in Managua schätzt, daß von ursprünglich etwa 32.000 Flüchtlingen höchstens noch 18.000 in Nicaragua leben. Nur jeder sechste ist offiziell beim UNHCR registriert. Vor dem Regierungswechsel im Februar entschieden sich täglich vierzig bis fünfzig für die riskante Heimkehr. Und allein zwischen Dezember 1990 und Februar 1991 wollen weitere siebenhundert Flüchtlinge organisiert in ihre Ursprungsgebiete zurückkehren. Andere, die bleiben wollen, beantragten nach der Wahlschlappe der Sandinisten die nicaraguanische Staatsbürgerschaft, die laut Verfassung allen Zentralamerikanern offensteht.
Zentralamerika mit seinen Diktatoren und brutalen Repressionsapparaten hatte immer schon politische Flüchtlinge hervorgebracht. Die meisten fanden jeweils in einem der Nachbarländer Asyl, warben dort um Solidarität, konspirierten, bereiteten Rebellionen vor und organisierten Waffen. In den frühen fünfziger Jahren war das Guatemala des Jacobo Arbenz Zufluchtsort von Freidenkern und Revolutionären. Nach der von den USA organisierten Konterrevolution 1954 flüchteten Tausende Guatemalteken nach Mexiko oder Costa Rica. Fünfundzwanzig Jahre später fiel die Zuspitzung von Massendemonstrationen und Repressionen in El Salvador zeitlich zusammen mit dem Sieg der sandinistischen Revolution in Nicaragua.
Doch Nicaragua hatte für die FMLN nie die gleiche Bedeutung wie Honduras für die Contras: nämlich als militärisches Rückzugsgebiet und unentbehrliche Nachschubbasis. Nicaragua war vielmehr befreundetes Hinterland, wo gestreßte Guerilleros ein paar Wochen Urlaub machen konnten und Verwundete diskret behandelt wurden. Die Kriegsversehrten wurden nach dem Wahlsieg Chamorros schleunigst nach Kuba verlegt. Die wenigen Comandantes, die noch in Managua Station machen, holten sich vom neuen Innenministerium grünes Licht für politische Aktivitäten im Rahmen des Verhandlungsprozesses. Das sind ähnliche Bedingungen, wie sie das nicht minder konservative Costa Rica offeriert.
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