: Kohl strahlt — Grüne debakeln
■ Kohl: Verhandlungen mit der FDP könnten schwierig werden/ Lafontaine will nichts beschönigen/ Gysi sieht sein Wahlziel erreicht: Sozialistische Partei im Bundestag/ Katastrophenstimmung bei Grünen
Berlin (dpa/ap/afp) — Der Kanzler war's erwartungsgemäß zufrieden: „Ein großartiges Ergebnis“ habe die Union bei den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen erreicht, „das beste“ gar, das je eine Partei in Deutschland bei freien Wahlen erreicht habe. Er kündigte an, jetzt werde „er erst mal einen draufmachen“.
Der CDU-Generalsekretär Volker Rühe sprach in einer ersten Reaktion von einem Riesenerfolg für die Koalition. Er räumte ein, die Verhandlungen mit der FDP könnten nach deren Wahlerfolg schwierig werden. Die CDU bleibe aber bei weitem der wichtigste Partner, und das Wahlergebnis seiner Partei sei vor allem in Berlin gut. Heiner Geißler forderte seine Partei auf, in der Koalition „das ökologische und soziale Gewissen“ zu sein.
Wahlverlierer Oskar Lafontaine gab unumwunden zu, er habe die Wahl verloren, und gratulierte der Koalition zu ihrem Wahlerfolg. Das Drehbuch der letzten Monate sei für die Regierung gelaufen. Immerhin habe die SPD in größerem Umfang als früher die Jugend mobilisieren können. Das lasse hoffen für die Zukunft. Im übrigen seien die Themen der SPD nach wie vor zukunftsträchtig. Das werde sich zeigen, wenn es an die Lösung der anstehenden Probleme gehe. In der DDR sei das Ergebnis, so Lafontaine, besser als erwartet.
Parteichef Vogel erklärte, die CDU habe nur mit Mühe ihr Ergebnis der Wahlen von 1987 erreicht. Für ihn sei die FDP der eigentliche Gewinner dieser Wahl, die Abnahme der Stimmen für die PDS und für die „Republikaner“ für ihn eine Befriedigung. Die Zukunft werde beweisen, daß die SPD die besseren Analysen und Konzepte habe und der Wahrheit näher sei. Für ihn stehe außer Zweifel, daß Oskar Lafontaine der richtige Kandidat seiner Partei gewesen ist.
Für den stellvertretenden Parteichef Wolfgang Thierse hielt sich die Enttäuschung in Grenzen. Die CDU hatte, so Thierse, einen natürlichen Handlungs- und Rollenvorteil. Sie seien die Agierende im Prozeß der deutschen Einheit. Ihren Versprechungen und Ankündigungen sei mehr gelaubt worden. Die SPD brauche noch ein paar Jahre, um wieder eine Chance zu bekommen. Steuererhöhungen zugunsten der ehemaligen DDR, für die SPD-Spitzenkandidat Lafontaine eingetreten sei, bewiesen nach den Worten von Thierse Solidarität und nicht das Gegenteill.
Besonders schlecht war die Stimmung bei den Grünen im Westen: Von einem „Debakel“ sprach Hubert Kleinert, der sich als erster prominenter Grüner zu den ersten Hochrechnungen äußerte, die die Partei im Westen außerhalb des künftigen Parlamentes sahen. Die Gründe dafür seien in erster Linie bei der Partei selbst zu suchen, räumte der dem realpolitischen Flügel der Grünen zugehörige Politiker ein. „Egal ob wir reinkommen oder nicht“, so Kleinert, „die Grünen West müssen sich ganz grundsätzlich verändern.“ Wenn sich die Partei nicht schleunigst verändere, sehe sie einer düsteren Zukunft entgegen.
Die FDP hingegen präsentierte sich mit ihrem zweistelligen Ergebnis als eigentlicher Wahlsieger. Parteichef Lambsdorff sprach von einem „großen Erfolg für den politischen Liberalismus in Deutschland“ und einem „hervorragenden Ergebnis“. Seine Partei habe ihre Ergebnisse seit 1983 stetig verbessert und habe diesmal möglicherweise das drittbeste Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik erreicht. Die FDP wolle sich in den Koalitionsverhandlungen nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Die Wahl des Kanzlers am 20. Dezember sei zwar ein wünschenswertes Ziel. Doch wenn die Koalitionsverhandlungen bis dahin nicht abgeschlossen seien, dann werde der Kanzler eben später gewählt.
Bei seinem triumphalen Einzug in das Bonner Thomas-Dehler-Haus wies Bundesaußenminister Hans- Dietrich Genscher am Sonntag auf die großen gemeinschaftlichen Leistung der FDP hin. Er sagte: „Dies ist eine gute Grundlage für unsere weitere Arbeit in der Koalition.“ Es komme nun darauf an, einen Rahmen für die wirtschaftliche Entwicklung in den fünf neuen Bundesländern abzustecken. Dies bedeute neue Prioritäten für die Haushalte. Auf die Frage nach möglichen Steuererhöhungen antwortete er: „Was wir vor den Wahlen gesagt haben, werden wir auch nach den Wahlen verwirklichen.“ Mit der FDP seien Steuererhöhungen nicht zu machen. Besonders erfreut zeigte er sich, daß der Frauenanteil in seiner Fraktion durch die Wahl höher werde.
„Unser Ziel ist erreicht“, kommentierte PDS-Vorsitzender Gregor Gysi den Einzug seiner Partei in den Bundestag. Angesichts der Wahlpropaganda gegen die PDS, die bis zum letzten Tag mit Lügen geführt worden sei, bedeute das Wahlresultat ein gutes Abschneiden.
Die PDS, so Gysi, habe immer gesagt, daß Bonn mit der Einheit auch eine wirkliche linke Partei ins gesamtdeutsche Parlament bekommen werde. Es sei schon früher für die Linke in Deutschland nicht leicht gewesen, ins Parlament zu kommen. Noch niemals habe es auch im Parlament zuviel Opposition gegeben, darum wolle er, Gysi, dafür sorgen, daß das Gewicht der Linken noch verstärkt wird. Auf die Frage von 'adn‘, was mit dem Fraktionsstatus werde, sagte Gysi: „Den werden wir im Bundestag einklagen.“
In Berlin meinte der stellvertretende PDS-Vorsitzende Andre Brie in einer ersten Reaktion, seine Partei habe „ein ordentliches Ergebnis“ erreicht. Mit dem Einzug der PDS würden auch erstmals Linke aus den alten Bundesländern vertreten sein, die bislang dazu keine Chance hatten. Zugleich sieht Brie einen Rechtsruck in Deutschland.
Der frühere DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) sagte im Fernsehen, die Menschen in den neuen Bundesländern hätten gewählt, was „entschieden zur Einhet geführt“ habe. Die „zögerliche Haltung der SPD zur deutschen Einigung“ habe den Sozialdemokraten geschadet. Dagegen habe sich die CDU/FDP-Koalition „in schwieriger Zeit bestätigt“. Bundeskanzler Helmut Kohl habe in der früheren DDR einen „großen Vertrauensvorschuß“. De Maizière, stellvertretender CDU-Vorsitzender, sagte, er glaube, daß die Präsenz der SED- Nachfolgeorganisation PDS „eine Sache von einer Wahlperiode sein wird“.
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