: Immer, wenn sie Pillen nahmen
■ Der 'Spiegel‘ bezichtigt auch westdeutsche Spitzenathleten des Dopings/ Deutscher Leichtathletik-Verband will trotz massiver Vorwürfe keine Vorreiterrolle bei Dopingkontrollen
Berlin (dpa/taz) — So unähnlich waren sich die beiden deutschen Sportsysteme wohl gar nicht, nur daß das östliche besser organisiert war. Denn nach den Dopingvorwürfen im Magazin 'Stern‘ gegen ehemaligen DDR-Sportler zieht der 'Spiegel‘ heute Dopinganschuldigungen über westliche Athleten aus der Schublade.
Die Leichtathletinnen Helga Arendt, Silke Knoll, Andrea Hannemann und Mechthild Kluth sollen Anabolika genommen haben. Sie starteten für den SC Hamm, dessen Trainer Jochen Spilker vom Nachrichtenmagazin 'Spiegel‘ als „Drahtzieher“ bezeichnet wird. Spilker war zudem bis zu seinem gestrigen Rücktritt Bundestrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) für 400-m-Läuferinnen. Er soll „den Athletinnen schriftliche Gebrauchsanweisungen für Anabolikakuren“ geliefert haben.
Mindestens seit 1984 wird, so der 'Spiegel‘, fleißig und programmäßig gedopt. Abgedruckt sind ein „Trainingsprotokoll“ von Silke Knoll, in dem die Einnahme des Anabolikamittels „Stromba“ verzeichnet ist, und „Anabolikaplan“. In ihm werden Gisela Kinzel, Helga Arendt, Mechthild Kluth und Andrea Hannemann genaue Dopinganweisungen gegeben. Silke Knoll soll noch am 30. August 1988, 19 Tage vor Seoul, drei „Stromba“ eingenommen haben. Zeugin dafür ist die Juniorenmeisterin Claudia Lepping. Schlau gemacht hat sich Spilker unter anderem bei Ben-Johnson-Coach Charlie Francis. Vom Trainer von DDR- Vorzeigeathletin Marita Koch, Wolfgang Meier, habe er „das ostdeutsche Dopingprogramm erfahren“.
Auch Wolfgang Thiele, DLV- Sprint-Cheftrainer, soll Chemie am Stecken haben: Die Sindelfingerinnen Elke Gaugel und Ulrike Savari seien „mit Anabolika schnell gemacht“ worden. Ulrike Savari wehrte sich: „Das ist eine totale Beleidigung. Ich habe nichts gemacht, deshalb habe ich ein reines Gewissen. Mich macht das Ganze traurig und verleidet mir den Spaß am Sport.“ Was soll sie auch anderes sagen?
Zur Verurteilung wegen Dopings kann laut Statuten nur ein positiver Test oder ein Geständnis führen. So berufen sich Zehnkampf-Olympiasieger Christian Schenk und die Schwimmerin Kristin Otto natürlich auf ihre negativen Tests. Was in Wahrheit natürlich nichts beweist, denn kein DDR-Athlet kam außer Landes ohne vorherigen Kontrolltest. Der Leiter des Kontrollabors Kreischa, Dr. Claus Clausnitzer, bestätigte hingegen die Echtheit der 'Stern‘-Dokumente. Für ihn gehört Kristin Otto zu den gedopten Sportlerinnen: „Ich kannte ihre Probenummer. Diese war unter den positiven Analysen.“
Doch zu beweisen ist ihr und all den anderen das schwerlich. Und soll es wohl auch in Zukunft nicht sein. Zwar kündigt DLV-Vizepräsident Werner von Moltke pro forma Konsequenzen an und versprach, „ab 1991 für einen absolut sauberen Sport zu sorgen“. Das sei er den Sponsoren schuldig, kümmert sich Moltke mehr um die Drohung von Mercedes-Sprecher Kleinert, Gelder abzuziehen, als um die Gesundheit seiner Sportler.
Den Vorstoß der Zehnkämpfer, den von den Gewichthebern eingeführten Steroidprofiltest als Nachweis anzuerkennen (womit Anabolika noch acht Monate nach Einnahme nachweisbar ist), lehnt Vizepräsident Moltke mit folgendem entlarvenden Argument ab: „Warum sollen ausgerechnet wir die Vorreiterrolle spielen? Die Gewichtheber gehen davon aus, daß ihre Athleten gedopt sind. Wir gehen davon aus, das unsere sauber sind.“
Ganz offenbar wollen sich die Funktionäre weiter im Glanz der Höchstleistungen aalen, wohlwissend, welcher Preis dafür gezahlt werden muß. Aber — erstens sind es nicht sie, die zahlen, und zum Trost verdienen die Profisportler schließlich nicht schlecht. miß
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