: „Wir müssen lernen, uns zu verkaufen“
■ Wo früher der Staat über Planstellen verfügte und die Menschen auf ihre Posten schob, müssen BürgerInnen der ehemaligen DDR nun Bewerbungsschreiben formulieren und ihre Haut bei den Personalchefs zu Markte tragen
Leipzig (dpa) — „Jetzt müssen wir nicht nur lernen, Maschinen zu verkaufen, sondern auch uns selbst.“ Der das sagt, ist ein Ingenieur aus Leipzig, der wie zahlreiche Bürger aus dem Osten vor einem für ihn bisher ungekannten Problem steht: Erstmals in ihrem Leben müssen sich die Ost- BürgerInnen in Konkurrenz mit anderen Bewerbern um einen neuen Arbeitsplatz durchsetzen.
Was früher der Staat von oben herab plante und regelte, liegt nun ganz in ihrer Entscheidung. Doch schon Bewerbungsschreiben bilden für die Arbeitssuchenden eine hohe Hürde, geschweige denn Vorstellungsgespräche mit westlichen Managern. Kurt Weiler, ein Schlosser im blauen Stoffmantel und Prinz-Heinrich-Mütze sächselt: „Erich sorgte und plante für alle. Jetzt stehen wir vor dem Nichts.“ Kein Wunder, daß deshalb auf den Tischen westlicher Personalchefs eng beschriebene Postkarten mit Lebenslauf inklusive Gehaltsvorstellung ebenso landen, wie handgeschriebene Briefe ohne Angaben zum Beruf oder aber — zwar bislang vereinzelt — genau das Gegenteil: aufwendige Mappen mit Farbfoto in Klarsichthüllen. Aber nicht nur die Form der Bewerbungsunterlagen macht den Arbeitssuchenden zu schaffen. Im Gegensatz zu westdeutschen Kandidaten trauen sich die BürgerInnen aus den neuen Bundesländern nicht, ihre fachlichen Qualifikationen anzupreisen. „Lieber gruppieren sie sich ein, zwei Stufen tiefer ein und arbeiten sich dann hoch“, meint Lutz Wieding, Abteilungsdirektor der Personalabteilung der Westdeutschen Landesbank in Düsseldorf. Umstellen müssen sich aber nicht nur die Bewerber aus dem Osten, sondern auch die westlichen Personalchefs. Sie sollten weniger voreingenommen sein, dafür aber geduldiger und verständnisvoller, meinen selbstkritische führende Personalmanager. Damit vor dem eigentlichen Prüfgespräch Hemmungen und Unsicherheit abgebaut werden, empfehlen sie eine „längere Aufwärmphase“. Wenn es denn zu einem Vorstellungstermin kommt, sind die Bewerber sehr reserviert und versuchen, sich unnötig zu rechtfertigen. Sie sehen nach wie vor im Arbeitgeber einen offiziellen Vertreter eines einengenden Systems. „Das kriegt man auch nicht so leicht aus ihren Köpfen raus“, sagt ein Manager. Auf Angebote, die mit einem Ortswechsel verbunden sind, reagieren die meisten verwirrt — Flexibilität ist für viele von ihnen noch ein Fremdwort. Kopfzerbrechen bereiten die Bewerber aber auch ihren Gesprächspartnern. Denn die Personalchefs haben häufig Probleme, Schulnoten, Berufsbezeichnungen oder Arbeitszeugnisse richtig zu bewerten. Die Auszeichnung „Banner der Arbeit“ hilft Chefs aus dem Westen jedenfalls nicht weiter.
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