: Preis des Friedens so wichtig wie der Brotpreis
■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Da freute sich die reformorientierte Tageszeitung 'Komsomolskaja Prawda‘: Endlich habe einmal ein sowjetisches Unternehmen prompt und clever auf die Bedürfnisse des Weltmarktes reagiert. Die Tschistopoler Uhrenfabrik „Osten“, hieß es in einer kleinen Meldung, verkaufe jetzt bereits in Sowjetmittelasien bewährte, garantiert sandundurchlässige „Kommandeursuhren“ an die amerikanische Armee am Golf. Das Zifferblatt umrahme die Inschrift „Operation Wüstenschild“, außerdem zierten die Zeitmesser auch noch das Bildchen einer Palme und zweier gekreuzter Schwerter. Das sonst eher konservative Konkurrenzblatt 'Sowjetskaja Rossija‘ meldete progressive Bedenken an: „Bei uns streiten Heißköpfe aktiv für die Entsendung sowjetischer Wehrdienstleistender in die explosive Zone. Möge es ihnen nicht beschieden sein, unter dem Kommando eines transozeanischen Generals in den Kugelregen zu laufen, der die Dauer der Attacke nach seiner Kommandeursuhr aus Tschistopol bemißt.“
Wen interessiert in der Sowjetunion schon die Golfkrise? „Es sieht eindeutig so aus, als hätten die sowjetischen Völker ihr Interesse an der Weltpolitik verloren. Die sowjetische Öffentlichkeit ist bereit, die Regierung in allen möglichen Sphären unter Druck zu setzen, nur nicht auf dem Gebiet der Außenpolitik. Und dies ist schade, denn wem der Übergang der Nation zur Marktwirtschaft derart wichtig ist, dem sollte der Preis des Friedens mindestens genau so wichtig sein, wie der Brotpreis“, orakelte pädagogisch der 'Moscow- News‘-Kolumnist Konstantin Pleschakow. Immerhin, die sowjetische Diplomatie entwickelt beispiellose Aktivitäten in Richtung Golf: Zwei stellvertretende Außenminister reisten sämtliche nahöstliche Staaten ab, der irakische Außenminister sprach letzte Woche in Moskau vor, und — last not least — erschien auch noch der saudische Außenminister Saud al Feisal bei Gorbatschow.
Die Infrarotwärme eines für die Sowjetunion versprochenen saudiarabischen Kredits von vier Milliarden US-Dollar beschleunigte offenbar die chemische Reaktion zwischen den Interessen beider Staaten. Jedenfalls stellten Saudi-Arabien und die Sowjetunion laut 'Tass‘ in ihren Gesprächen fest, „die Ambitionen der irakischen Führung“ seien „angesichts des militärischen Potentials des Irak eine Bedrohung für alle positiven Tendenzen der Welt“. Natürlich ist dieser Satz angesichts der langjährigen Aufstockung des irakischen „militärischen Potentials“ durch die Sowjetunion nicht ohne Pikanterie.
Der Stenograph bei der Verfassungskommission des Obersten Sowjet der Russischen Föderation, D. P. Fjodorow ist empört: „Über dreitausend unserer Landsleute sind noch dort und in diesen Tagen haben wir gehört, daß sie bis zum Ende ihrer Verträge dort bleiben müssen. Das heißt, daß sie praktisch als Geiseln dienen. Und wir müssen doch daran denken, daß ihre Mütter und Frauen noch immer hier sind!“ Die Vorstellungen Dmitrij Pawlowitschs über die Handlungsspielräume moderner Militärs sind durchaus russisch: Er gehe davon aus, „daß die amerikanischen Militärs so umsichtig sind, die Orte, an denen sich Geiseln befinden, militärtechnisch abzuschirmen, ehe sie zum Angriff schreiten.“
Wie die meisten Sowjetbürger zieht Ilja Zaslawskij, einer der jüngsten Deputieren des Obersten Sowjet, bestimmte Parallelen zwischen der außen- und innenpolitischen Situation: „Auf die Annexion Kuwaits haben natürlich alle halbwegs anständigen Leute hier in der Sowjetunion negativ reagiert. Denn sowohl die Unterdrückung von Persönlichkeitsrechten wie auch die Unterdrückung der Souveränität kleiner Länder sind ja unsere aktuellen wunden Punkte. Zumal hier in Rußland, wo wir bemüht sind, an Stelle des bisherigen Staates einen friedliebenden russischen Staat zu setzen, sind wir über eine derartige Verletzung des internationalen Sicherheitssystems äußerst empört. Wenn ein solches Vorgehen unbestraft bleibt, kann es bald gang und gäbe werden. Dabei rechtfertigt das irakische Regime sein Eindringen in die Angelegenheiten anderer Länder mit der Aufgabe, dort Ordnung schaffen und die soziale Gerechtigkeit herstellen zu müssen. Bei uns ist jetzt diese Frage besonders aktuell, da sich die Union mit diesem sozialen Anspruch in die Angelegenheiten der Republiken einmischt, die ihre Souveränität herzustellen versuchen. Und mir ist es ein Rätsel, wie die westlichen Politiker, die sich derart über den Einmarsch des Iraks in Kuwait empören, gleichzeitig so ruhig zusehen, wie unsere Unionsregierung der Souveränität der baltischen Staaten oder Rußlands zuwiderhandelt.
Zaslawskij hat übrigens nichts gegen eine direkte militärische Aktion der UNO-Mehrheit im Irak, ganz im Gegensatz zu einem jungen, litauischen Zeitungsverleger, den wir bei einem „Geschäftsessen“ in Moskau ausfragten: „Mich und viele meiner Mitbürger erinnert das Verhältnis des Irak zu Kuwait an das Verhalten der Sowjetunion uns gegenüber. Da ist immer diese Versicherung: ,Wir können Euch zerquetschen!‘ Einen Krieg halte ich aber auf jeden Fall für unzulässig, weil man jeden beliebigen Konflikt mit rein ökonomischen Mitteln lösen kann — genauso wie jeder beliebige Krieg im Grunde genommen aus rein ökonomischen Interessen erwächst.“
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