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■ Text naturgemäß in gebrochener Kontinuität

Immer wieder sehen sich Organisatoren von langjährig tradierten Veranstaltungen im Osten vor die Entscheidung »Kontinuität oder Neuanfang?« gestellt. Im Fall vom Literaturfest entschied man sich äußerlich für den Bruch mit der Tradition. In diese gestellt, wäre das Fest nicht irgend ein Literaturspektakel sondern das »27. Literaturfest der Berliner Jugend«, der offizielle Abschluß des Literaturwettbewerbes. Diese Verbindungslinie soll aber nicht gezogen werden, sie wird auf dem Plakat gleich ausgespart.

Kein Wunder, denn die FDJ und der sich nun auflösende Schriftstellerverband waren zusammen mit dem Haus der jungen Talente Hauptträger dieser Veranstaltung. Von der sponsorenschaftlichen Obhut der Genossen hat man sich nun emanzipiert, der Wettbewerb wurde samt seinem Initiator, dem Kulturbund, vom Westwind verweht. Erstmals findet das Fest auch nicht am historischen Ort in der Kongreßhalle statt, sondern ist aus finanzellen Gründen ins HdjT ausgewichen. Das wären Gründe genug, um nach 26 vorangegangenen Festen den Schlußstrich zu ziehen, gäbe es da nicht das konstant gebliebene Anliegen der Veranstalter: Kommunikation zwischen Schreibenden und LeserInnen herzustellen, für Lese- und Buchkultur zu werben und über Literatur ins Gespräch zu kommen, die in Produktion ja eher ein einsames Genre ist. Dazu bieten Programmpunkte wie etwa die Talkrunde »Kein Staat für Frauen« Gelegenheit, da stehen Literaten und Verleger im Café »Lesebühne« zur Verfügung.

Zentraler Gegenstand des Tages ist naturgemäß der Text an sich. Er wird vorgelesen, abgeklopft, gesungen und vorgespielt. Mit improvisierter Musik und kurdischem Gesang ausgemalt oder kontrastiert. In Filmen von Studenten der Hochschule Babelsberg wird die Nähe zu Text gesucht.

Die Riege der Wortgewandten im Lyrikprogramm »Alphabetula« reicht von Bert Papenfuß-Gorek bis Gisela Kraft und Heinz Kahlau. Mit Jürgen Fuchs und Steffen Mensching wird's hochpolitisch, da wird gewiß nach der Lesung gestritten und diskutiert. »Neu beim Literaturfest«, und damit bekennen sich die Organistoren wieder zur Kontinuiutät (zu deren Weiterentwicklung nämlich), ist das Cabaret. Theater gab's beim Fest schon immer. Diesmal kommt es aus der Brotfabrik und in Form von Clownstheater aus der Schweiz, aber Cabaret lerlebt in diesem Rahmen seine Premiere. Martin Buchholz von den Wühlmäusen läßt »Wir sind, was volkt« zur Voraufführung kommen. Ein Stück, das an die Weihnachtsgeschichte angelehnt ist und durchaus nicht komisch sein will.

Ebenfalls ein Neuling im Genrekatalog ist das Puppenspiel. »Handgemenge« zeigen zwei Aufzüge nach Texten von Schwitters und Tardieu. Mit »L'art passage«, deren zweite LP »Für euch« zu diesem Anlaß debutiert, sucht man Textnähe, auch wenn Text in den reinen Instrumentalsongs der Band höchstens als Untertext vorkommt. Dieser könnte da bestenfalls von Johannes Mario Simmel geschrieben sein, um zu dem nett sympathischen Diplomatenjazz der Gruppe zu passen.

Neben weiteren Musik/Text—Programmen kommen gleich ab 10 Uhr die zum Nulltarif mitgebrachten Kinder auf ihre Kosten: Verlage und Läden sind mit diversen Ständen präsent. Und es gibt das Angebot an alle heimlichen Schreiber: Texte mitbringen! Wer sich traut, darf lesen.

Heute von 9 bis 24 Uhr im HdjT, Klosterstraße am U-Bahnhof Klosterstraße. Micha Möller

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