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Lezte Runde im alten Stasi-Autodrom

■ In Kallinchen quietschen auf der Ausbildungsstrecke für Prominentenfahrer immer noch die Reifen

Kallinchen. Schöneiche ist für seine Müllkippe bekannt, das Nachbardorf Kallinchen für das ehemalige Stasi-Autodrom.

Viel geändert hat sich bisher nicht: Auf der Kippe wird weiterhin deponiert, auf dem Asphaltoval quietschen nach wie vor die Reifen. Von einem Schießplatz hallt ab und zu Pistolengeballere. Der »Personen- und Objektschutz«, einst dem DDR-Innenministerium und jetzt dem Bundeskriminalamt (BKA) unterstellt, bildet hier Prominentenchauffeure und Bodyguards für die neuen Bundesländer aus.

Wie zu alten Zeiten ist das Gelände geheimnis- und skandalumwittert. Der Eingang ist mit einem schweren Tor verschlossen, ein Schild warnt: »Sperrgebiet!« Ein langer Schornstein raucht sommers wie winters. Dorfbesucher munkeln von einer unterirdischen Bunkeranlage. Nich Anfang August kam Ex- DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel nach Kallinchen, um hier zu schießen. Für die 530-Einwohner- Gemeinde im südlich von Berlin gelegenen Kreis Zossen ist der Autodrom-Spuk immer noch nicht vorbei: »Wir stehen hier vor der Tür und wissen nicht, was läuft«, klagt die Bürgermeisterin, Marion Schmelzer.

Wer auf dem Gelände das Sagen hat, hat die parteilose Gemeindechefin nur durch beharrliches Anfragen in Bonn erfahren. Es gab zwar öffentliche Besichtigungen des Geländes, doch über Nutzungsrechte war offenbar nicht viel zu erfahren. Nach der Wiedervereiniung teilte das Bundesinnenministerium (BMI) Frau Schmelzer mit, daß der Personen- und Objektschutz zuständig sei. Eine endgültige Entscheidung über die Verwendung des Autodroms sei aber noch nicht gefallen, hieß es weiter aus den Bonner Amtsstuben.

Das derzeit verantwortliche BKA will nur bis zum Jahresende bleiben. Das Autodrom sei durch die Stasi- Vergangenheit »negativ belastet«, erklärte ein BKA-Sprecher. Andere Institutionen hätten abgelehnt, weil das 40-Millionen-Objekt im märkischen Kiefernwald »zu teuer« sei, meint ein Mitarbeiter der BMI-Außenstelle in Berlin.

Weitgehend uninformiert harrt also die Gemeinde der Dinge, die da von oben kommen. Ob und wie die Dörfler entschädigt werden, die ab den 60er Jahren Land für Spottpreise an die Stasi verkaufen mußten, ist ungeklärt. Die Zeiten, wo Dritte-Welt- Guerillas und die stationierten Stasi- Mitarbeiter in zugehängten Bussen durch das Dorf gekarrt wurden, sind zwar vorbei, doch das Mißtrauen gegenüber der Geheimnistuerei auf dem Autodrom bleibt.

Auf dem Gelände, das mit 2,5 Quadratkilometern immerhin ein Fünftel der Fläche Schönebergs hat, trainieren derzeit noch fleißig die Personenschützer. Eine Sprinkleranlage setzt Teile der Fahrbahn unter Wasser, damit die Autos besser rutschen. Die Fahrer besteigen mit Sturzhelmen ihre Ladas, Citroens und die alten gestreckten Funktionärs-Volvos.

Auf den innerhalb der großen Schleife gelegenen Straßenrunden sind peinlich genau östliche Fahrbahnverhältnisse nachgebildet: Kopfsteinpflaster, querlaufende Straßenbahngleise, Schlaglöcher und sogar die Asphaltwellen, wie sie sich vor Ostberliner Ampeln finden. Überall sind Kameras installiert. Potentiellen Nutzern wie Daimler-Benz oder BMW seien die Beschleunigungsgeraden zu kurz gewesen, sagt der Vize-Objektleiter, Holger Bismark. »Die reichen nur für 180 Stundenkilometer.« Die Schießstände für Maschinengewehre und einige kleinere Anlagen sind inzwischen eingemottet, wie Bismark versichert. Geballert wird nur noch auf einer Anlage, bei der aus Autos geschossen wird.

Ziele, deren Umrisse Menschen ähneln, können hochgezogen werden. Sie sind durchlöchert wie Schweizer Käse. In der Anlage haben schon die Nazis Handgranatenwerfen geübt. Die Ausbildungsstätte mit Tradition wird wahrscheinlich bald geschlossen werden. Die verbliebenen 50 Personenschutzmitarbeiter werden dann vom Autodrom aus in die Warteschleife gehen.

Es sieht so aus, als ob sich in Kallinchen doch etwas ändern wird. Christian Böhmer

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