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Biedenstolpe will nicht am Tropf hängen

Ministerpräsidenten Sachsens und Brandenburgs für Finanzausgleich/ Der Westen soll mehr tun  ■ Aus Herzberg I. Grabowski

Am Tropf zu hängen und nur per Einzelzuweisung aus dem Einheitstopf zu überleben, kann für die neuen Bundesländer nicht die Lösung sein. Darin sind sich Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und sein Amtskollege aus Brandenburg Manfred Stolpe einig. In der kleinen Stadt Herzberg, fast genau auf halber Strecke zwischen Dresden und Potsdam, kamen sich die beiden Landesväter am Sonnabend nicht nur in puncto Finanzen entgegen. Themen ihres ersten „Gipfeltreffens“ waren anstehende Grenzverschiebungen, die Zukunft des Braunkohlenabbaus im Lausitzer Revier und die Förderung der Sorben.

Im Grenzstreifen zwischen beiden Ländern, dort wo „brandenburgische Zuständigkeit und sächsische Kultur zusammenkommen“ (Stolpe), haben 23 Gemeinden den Übertritt nach Sachsen beantragt. Dem mehrheitlichen Willen der Bürger, die sich entweder auf ihre Wurzeln besonnen haben oder dem vermeintlich reicheren Süden den Vorzug geben, wird die Landesregierung in Potsdam entsprechend der Regelungen im Länderbildungsgesetz ohne Verzögerung Rechnung tragen. Nur Enklaven dürfen dabei nicht entstehen.

Zu den Perspektiven der Braunkohle erwarten sich Stolpe und Biedenkopf aus den in drei Monaten fälligen Plänen der Hauptträgergesellschaften des Bergbaus positive Aussagen zu Arbeitsmarkt und Umwelt. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe unter Federführung beider Wirtschaftsministerien wird sich mit Unternehmen, zum Beispiel dem Werk „Schwarze Pumpe“, beschäftigen, die noch ohne Rücksicht auf Ländergrenzen errichtet wurden. Sie dürften nicht durch Doppelzuständigkeit geschädigt werden. Die rund 70.000 Sorben in ihrer eigenen nationalen Identität zu schützen und fördern, soll in den Verfassungen beider Länder festgeschrieben werden. Finanzielle Mittel sollen eventuell über eine gemeinsame Stiftung bereitgestellt werden.

Doch mit leeren Haushaltskassen bleibt es auch in diesem Fall bei einem edlen Vorhaben. Biedenkopf hatte sich noch in seiner Regierungserklärung Anfang November dagegen verwahrt, die historische Mission der Einheit auf den Fiskus zu reduzieren. Das würde die Menschen im Osten, die sich über die neugewonnene Freiheit freuen, enttäuschen. Die Blockade des Länderfinanzausgleichs, wie sie im Einigungsvertrag festgelegt wurde, fand in seiner Rede keine Erwähnung. Auf dem Herzberger Treffen — inzwischen hat die CDU den einstigen Befürworter von Steuererhöhungen in die Schranken gewiesen — solidarisierte sich der Neusachse mit seinem Gastgeber Manfred Stolpe. Der will eine Revision der Regelung im Einigungsvertrag, wenn notwendig, auch mit einer Verfassungsklage durchsetzen. Biedenkopf sieht in der Bundesregierung den „größten Verbündeten“, denn die Notwendigkeit der ungeliebten Steuererhöhung sei von der Neuordnung des Finanzausgleichs abhängig. Damit sei man, so Manfred Stolpe, an der Kernfrage des Systems der Bundesrepublik Deutschland: „dem lebensfähigen Förderalismus“. Es gehe dabei nicht nur darum, daß die Menschen in Ostdeutschland schnell den Standard des Westens erreichen. „Wir müssen die Angleichung bewältigen, damit ganz Deutschland wieder handlungsfähig in Richtung Osteuropa ist.“

Inwieweit die Altbundesländer bei Finanzstreitigkeiten verhandlungswillig sind, wird sich am kommenden Freitag erweisen, wenn im Bundesrat über die Einkommensverordnung für den öffentlichen Dienst abgestimmt wird. Die Altbundesländer unterstützen bisher den Vorschlag des Innenministers: 35 Prozent der Westtarife und keinen Pfennig mehr. „Das ist gänzlich unzureichend“, beschwert sich Biedenkopf, „um auf dem ohnehin engen Markt für Führungskader wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Die nach Sachsen kommenden Investoren würden ihm mit Spitzengehältern die Experten aus den Behörden ziehen. Paradoxerweise eben auch jene, illustriert Biedenkopf, die allein fähig seien, Investitionsanträge zu bearbeiten. „Der Aufbau meiner Regierung ist gefährdet.“

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