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Voll crazy people

■ Eine Platte besingt den VfL Bochum und zeigt Kultur, wie sie nur im Ruhrgebiet entstehen kann WIR LASSEN LAUSCHEN

Nun wollen wir heute mal an dieser Stelle, wo ansonsten sanfte Bosheit und milde Häme abgesandt werden, vorbehaltlos loben, ja lobpreisen geradezu, uns versteigen in Sphären, die an eine Liebeserklärung reichen. Und das für eine Region und ihre Menschen, die normalerweise nur müde belächelt werden. Nein, sagen wir da ohne jede Einschränkung: Ruhrgebiet gut, ganz große Klasse, echt prima das Ruhrgebiet!

Die Leute hier haben einen wundervollen Sprung in der Schüssel, einen weichen Keks im Schuh, eine Schraube locker oder wie man das immer ausdrücken will; für unsere jungen Leser: voll crazy people. Da wäre etwa der Geschäftsführer einer Plattenfirma, der einen mit den Worten begrüßt: „Ich bin Kurt, größter lebender MSV-Fan der Welt“, und damit wirklich Duisburg meint; oder Günther, dessen Herz aus unerfindlichen Gründen für Werder schlägt und der sich trotzdem nicht scheut, als Musiker den VfL zu bespielen; „Die Stimme der Osttribüne“ ist ein spezieller Fall, weil sie seit Jahren Spielern wie Jochen Abel oder Sammy Pochstein oder Heinz Knüwe zujubelt, woran zu ersehen ist, daß es sich um einen äußerst speziellen Fall handeln muß.

Es geht, Fußballkenner haben es bemerkt, um Bochum und das Ruhrstadion, und um die Geschichte nicht über Gebühr zu komplizieren, werden nun harte Fakten referiert. Auf der Osttribüne dieser schönen Fußballarena treffen sich Samstags die Fans mit ihren blau- weißen Käppis und Schals und feiern ihren Verein, den Außenstehende eine graue Maus nennen, aber das ist ihnen egal; schließlich gilt unsere Zuneigung auch eher Bastarden und nicht Rassehunden, eher verbeulten Karossen als Neuwagen mit optimalem CW-Wert. „Die Stimme“ ist einer von vielen, weshalb er ohne Namen bleiben will, quasi der ideelle Gesamtfan des VfL Bochum.

Also, „Die Stimme“ rief eines Tages bei Günther an, war mit dessen automatischer Sprechmaschine verbunden, und die sang: „Deutscher Meister wird nur der VfL“, ein Überraschungsgeschenk für Thomas, der Geburtstag hatte. So entstand die Idee für das, was wir uns seit einer Woche auf den Plattenteller legen können: ein Produkt von I saw Hans Walitza kick that Ball-RECORDS (herrlicher Name das), Seite 1 mit „Deutscher Meister wird nie der VfL“ (1:40), die Rückseite mit der — sorry! — doch sehr viel unrealistischeren Version (1:42).

Um es kurz zu machen: Der VfL Bochum hat bereits 200 Singles für den Weihnachtsmarkt gekauft, im WDR wurde die Scheibe gespielt, die 'WAZ‘ hat sie zweimal ausführlich gewürdigt, das Aktuelle Sportstudio hat vergangenen Samstag den Spielbericht damit eingeleitet, Radio Emscher-Lippe meldet großes Interesse an... So soll es sein. In die Charts mit diesem schwarz gepreßten Unfug, dieser Musik von unten, diesem Gegenstück zu Udo Jürgens' „Und wir fahren übern Brenner“!

Der Wahnsinn lebt. Er heißt Kurt und fährt zu Auswärtsspielen mit einer Endloskassette des Titels „Zebrastreifen weiß und blau“; er heißt Detlev und trägt am Samstag Schwarz („Schalke hat verloren“); er heißt „Die Stimme“ und interessiert sich für Stadien wie Philatelisten für Briefmarken. Wunderbares Ruhrgebiet! Herr Thömmes

Jochen Abel Band, Sammy Pochstein Experience: „Deutscher Meister wird nur (nie) der VfL“

Infos und Bestellung (6 DM): Dietrich Eggert/Eckhard Schwettmann, Tel.: 02325-6970, Fax: 02325-697223

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