: Ein Wunschkind nach den Wechseljahren
Amerikanische Mediziner erweitern ihr Repertoire an Reproduktionstechnologien/ Frauen können auch nach der Menopause schwanger werden/ BioethikerInnen warnen vor „diesem merkwürdigen Sieg im Kampf um die Gleichberechtigung“ ■ Von Silvia Sanides
„Ein kaukasisches Baby“, strahlte der britischgebürtige Vater, „kein Zweifel; das ist unser Baby.“ Auch seine Ehefrau, philippinischer Abstammung, freute sich: „Er sieht orientalisch aus.“ Das amerikanische Paar war eifrigst bemüht, seine Gene in dem Neugeborenen wiederzuentdecken. Außer Genen und Dollars hatten Crispina und Mark Calvert zum Werdegang des neuen Erdenbürgers bis zu dem Zeitpunkt nichts beigetragen. Trotzdem wollen sie das Baby ganz für sich haben. Ein Ei beziehungsweise einen Samen hatten die Calverts gespendet. Die wurden im Reagenzglas vereint und das Produkt einer Leihmutter, der 29jährigen Anna Johnson, eingepflanzt. Johnsons indianischen und afroamerikanischen Gene spielten bei der Zeugung keine Rolle. Trotzdem beansprucht sie jetzt das Kind, das sie im September zur Welt brachte, für sich. So kam es im kalifornischen Santa Ana zum ersten Gerichtsprozeß um eine Leihmutterschaft, bei der das Kind mit der Leihmutter biologisch nicht verwandt ist. Viel häufiger ist die „traditionelle“ Leihmutterschaft, bei der eine Leihmutter mit dem Samen des zukünftigen Vaters künstlich befruchtet wird.
Der spektakuläre „Baby-M“-Fall
Berühmtes Produkt einer traditionellen Leihmutterschaft ist das 1987 geborene „Baby M“. Auch damals weigerte sich die Leihmutter Mary Beth Whitehead, ihren Vertrag zu erfüllen und das Baby an den Vater und seine Ehefrau abzugeben. Der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates New Jersey entschied zu ihren Gunsten. Ihre Auftraggeber erhielten zwar das Sorgerecht für das Kind, doch wurde der Leihmutterschaftsvertrag als ungültig erklärt und Whitehead regelmäßiges Besuchsrecht mit dem Baby zugesprochen. Die GegnerInnen der kommerziellen Leihmutterschaft hatten gehofft, daß der „Baby- M“-Fall Schule machen würde.
Doch in Santa Ana wurden sie jetzt enttäuscht. Richter Richard Parslow entzog Leihmutter Johnson alle Elternrechte. Sie sei für den Säugling nichts anderes als eine Pflegemutter, die das Kind vorübergehend „ernährt, schützt und hegt“, lautete seine Entscheidung. Johnson hat jedoch Berufung eingelegt. Die Chancen sind gut, daß das Urteil — wie im „Baby-M“-Fall — in zweiter Instanz umgekehrt wird. Andrew Kimbrell, Rechtsanwalt für die „Nationale Vereinigung gegen Leihmutterschaft“, erklärt: „Bestehende Adoptionsgesetze bestimmen, daß die gebärende Mutter die Mutter des Kindes ist. Eine spezielle Regelung für Leihmutterschaft gibt es in Kalifornien noch nicht.“ Außerdem könnten Gesetze, die Samen- und Eispender schützen sollen, Johnson zu ihrem Mutterrecht verhelfen. Wer Samen oder Eier spendet, kann nicht später dazu gezwungen werden, eine Elternrolle für das Kind zu übernehmen. Andersherum, so Kimbrell, bedeute das auch, daß Ei- und SamenspenderInnen keine automatischen Rechte an dem Kind haben. In zwölf US-Bundesstaaten gibt es inzwischen Gesetze, nach denen entweder Leihmutterschaft oder Leihmutterschaftsverträge illegal sind. Doch es fehlt eine bundesweite Gesetzgebung. Und das liegt nicht zuletzt an der gespaltenen Front der Frauen in dieser Frage.
Bezahlte Leihmutterschaft
Bekannte Feministinnen wie Gloria Steinem und Betty Friedan haben sich der Bewegung gegen Leihmutterschaft angeschlossen und unterstützen eine Gesetzesvorlage im Kongreß, die die kommerzielle Leihmutterschaft verbietet. Danach machen sich sowohl Ärzte wie Agenturen oder Zeitungen, die Leihmutterschaft in die Wege leiten, strafbar. Doch Amerikas größte Frauenorganisation „National Organization for Women“ (NOW) hat bisher keine klare Stellung bezogen. Zwar schließt sich NOW der Forderung an, daß Leihmutterschaftsverträge nicht bindend sein dürfen, doch hat die Organisation es bisher abgelehnt, Gesetze zu unterstützen, die die Kommerzialisierung der Leihmutterschaft verbieten. Und manche Frauen, die sich als Feministinnen verstehen, sehen in den modernen Reproduktionstechnologien eine Chance, biologische Barrieren zu durchbrechen.
Sprachrohr dieser Gruppe ist die Rechtsanwältin Lori Andrews. „Warum“, so Andrews kürzlich, „sollen Frauen nicht für das Spenden von Eiern (500 bis 1200 Dollar) oder Leihmutterschaft (10.000 Dollar) bezahlt werden, wenn Männer fünfzig Dollar für eine Samenspende bekommen?“ Psychotherapeutin Betsy Aigen, deren Tochter von einer Leihmutter geboren wurde, stimmt zu: „Warum sollen Leihmütter umsonst arbeiten? Als Feministin setze ich mich seit Jahren für Lohngleichheit von Männern und Frauen ein. Hier haben wir es wieder — Frauen sollen Wohltätigkeitsarbeit verrichten“. Doch die „Freiheit, über die eigene Gebärmutter zu entscheiden“, hat Grenzen, warnt Bioethikerin Susan Wolf. Genauso wie das Spenden von Organen nicht bezahlt werden darf, müsse die kommerzielle Ausnutzung der Leihmutterschaft verboten werden. Wolf: „Wir dürfen Frauen nicht als Behälter für Föten mißbrauchen.“
Selbst einige Mediziner sehen die Gefahr des Mißbrauchs und setzen sich Schranken. Paulo Serafini vom „Huntington Reproductive Center“ sieht sich mit schwierigen Fällen konfrontiert: „Eine Frau ist 39 Jahre alt, erfolgreich und sehr beschäftigt. Sie will eine Leihmutter einstellen, weil sie für die Schwangerschaft keine Zeit hat.“ Der Vorstand des „Huntington Reproductive Center“ hat jetzt entschieden, in der Klinik nur Paare zu behandeln, die aus medizinischen Gründen zur Leihmutterschaft greifen. Nicht nur Leihmütter werden ausgebeutet, sondern auch Frauen, die sich mittels der modernen Technologie ihren Kinderwunsch erfüllen wollen.
„Uns Frauen entgleitet die Gewalt über unser Fortpflanzungsleben“, beklagt Cynthia Pearson von der Frauengesundheitsorganisation „National Women's Health Center“ die Entwicklung. „Je komplexer die Technologien, desto mehr greift das medizinische Patriarchat ein.“ Leihmutterschaft ist nur eine Methode, zum eigenen Nachwuchs zu kommen. In sehr viel mehr Fällen wird das im Reagenzglas geschaffene Embryo der Frau eingepflanzt, die sich ihren Kinderwunsch erfüllen will. Sechs, sieben, acht Mal versuchen verzweifelte Frauen mittels In-vitro- Befruchtung zu genetisch verwandten Nachkommen zu gelangen. Die psychischen und physischen Belastungen sind enorm. Hormonbehandlungen, Eientnahme und eine hohe Rate von Fehlgeburten dominieren im Alltagsleben. Und oft bleibt der Erfolg zum Schluß dennoch aus. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine Reagenzglasbefruchtung die Geburt eines Babies zur Folge hat, liegt nämlich nur bei zwölf Prozent pro Versuch.
Schwanger sein in jedem Alter
Mittlerweile sind die Mediziner bemüht, ihr Repertoire an Reproduktionstechnologien zu erweitern.
Vor einigen Wochen kam die Erfolgsmeldung, daß nunmehr Frauen noch nach der Menopause ihr Wunschkind bekommen können. Vier von sieben postmenopausalen 40- bis 44jährigen Frauen, denen man Reagenzglasembryos eingesetzt hatte, gebaren gesunde Babies. Die Eier waren von jüngeren Frauen gespendet und mit dem Samen der Ehemänner befruchtet worden. Außerdem mußten sich die zukünftigen Mütter einer rigorosen Hormonbehandlung unterziehen, um ihre Gebärmutter auf Schwangerschaft umzustellen. Die 'Washington Post‘ kommentierte: „Jetzt können Frauen mehr wie Männer sein und Kinder bekommen bis sie altersschwach sind.“
Bioethiker und Mediziner warnen jedoch vor diesem merkwürdigen Sieg im Kampf um die Gleichberechtigung. Auch dieses technologische Novum reduziert die Frau zur Geburtsmaschine, sagt Pearson. Zum Kinder gebären und aufziehen gehört mehr als ein Ei und eine mit Hormonen jung erhaltene Gebärmutter. Zef Rosenwacks, Frauenarzt an der Cornell Universität, meint: „Nur weil wir einer Frau in praktisch jedem Alter zur Schwangerschaft verhelfen können, heißt das nicht, daß sie das Risiko auf sich nehmen soll. Die Probleme nehmen mit dem Alter zu.“ Pearson befürchtet, daß die Neuerrungenschaft Altbekanntes zur Folge haben wird. „Dank diesem Durchbruch werden wir Frauen nicht mehr wie Männer werden, sondern Männer werden uns mehr dominieren können. Würde unsere Gesellschaft es Frauen möglich machen, Kinder dann zu bekommen, wenn es biologisch klappt, dann bräuchten wir diese Technologien nicht.“ Sie ist der Ansicht, daß Frauen sich spät, oft zu spät, zur Schwangerschaft entschließen, nicht weil es ihnen dann besser in den Kram paßt, sondern weil es ihre letzte Möglichkeit ist. Pearson: „Unsere Gesellschaft unterstützt Eltern so unzureichend, daß es zu keinem Zeitpunkt günstig ist, Kinder zur Welt zu bringen.“
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