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Beinahe-Hoffnungsträger

■ Wird der zukünftige SPD-Parteivorsitzende den notwendigen Streit organisieren? KOMMENTARE

Er hat sie gut genommen, die Hürde zum Parteivorsitz: In wenigen Tagen ist Björn Engholm von der zweiten Wahl zum Beinahe-Hoffnungsträger geworden. Er hat in der Situation einer personalpolitischen Panik ganz schnell eine Willensbildung der Partei inszeniert, die so glatt ging, daß die Fragen erst nachträglich kommen. Es ist jedenfalls frappierend, daß ein Kandidat in einer derart brisanten Lage der Sozialdemokratie praktisch ohne eine explizite programmatische Position aufs Schild gehoben werden konnte. Von Lafontaine immerhin wußte man, was er wollte. Gerade wegen seiner politischen Geräuschlosigkeit personifiziert Engholm viel eher den Generationswechsel als Lafontaine, der ihn am Ende des Wahlkampfes durchaus auch mit einer polemischen Wendung gegen die eigene Partei verkündete. Aber welche Qualitäten machen eigentlich Engholm zum Wunschkandidaten zweiter Wahl? Daß er besondere Fähigkeiten hat, steht fest; aber welche besonderen Fähigkeiten es sind, fällt nicht sogleich ein. Als Ministerpräsident hat er auf undramatische Weise die Loyalität des schwarzen Filzes erreicht und die personellen Erneuerungen, die bezahlbar waren, erzwungen. Er hat die heikelsten Bereiche seiner Regierung, die Landwirtschaft und das Schulwesen, pazifiziert, hat die großen Ansprüche seiner Regierung vom Ausstieg aus der Atompolitik bis zur Neuauflage der Hanse still relativiert, ohne persönlich vom Streit zwischen prinzipieller Politik und Realpolitik berührt zu sein — ein rot- grüner Administrator mit einer Teflonschicht. Dort, wo andere sich in Grundsatzkonflikten zerreiben, kultiviert er ein Air von Ökologie, vom Fahrradfahren bis zur Vernissage-Eröffnung.

Der große Geräuschlose aus dem Norden mag die Partei beruhigen. Auf jeden Fall ist er prädestiniert, den nach der Niederlage heraufbrechenden Konflikt zwischen der NRW-Gruppe, den Gewerkschaften, der Einheitsfraktion und dem rot- grünen Flügel der Partei stillzustellen. Aber ist er der Kandidat, der den notwendigen Streit innerhalb der Partei organisiert? Ist — nebenbei bemerkt — diese Aufgabe dann mit dem Amt eines Ministerpräsidenten vereinbar? Es ist müßig, gegenwärtig darüber zu rätseln, ob Engholm auch der Kandidat für 1994 sein wird. Gleichwohl: die Lafontaine- Frage ist nicht ausgestanden. Der Saarländer hat mit dem Verzicht auf den Vorsitz sich auch unüberhörbar für seine politische Bewegungsfreiheit entschieden. Lafontaine hat die Partei in den letzten Jahren immer von außen politisch beeinflußt. Die Grundelemente seines Regierungsprogramms „Zukunft 90“ und die Richtung der Programmkommission hat er an der Zentrale vorbei entwickelt. Alle Anstöße von der Kritik an der Nachrüstung über die Sonntagsarbeit bis zur politischen Traverse zu Späth hat er aus Saarbrücken und nicht aus Bonn lanciert. Lafontaine wird auf diese Chance nicht verzichten und hat wahrscheinlich historisch recht, daß sich die SPD nur von der Peripherie her verändern läßt. Er hat mit dem alten Solidaritätspuritanismus der Partei gebrochen, und Engholm ist nicht der Vorsitzende, der ihn erneuert. Klaus Hartung

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