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Auch die Freiheit brachte wenig

■ Jonas Tamulis ist parteiloser Vertreter der Grünen im Parlament Litauens INTERVIEW

taz: Litauen ist abhängig von der Sowjetunion. Hier wurde ein großer Teil der chemischen Industrie angesiedelt, mit allen Folgen für die Umwelt. Es wird auch Elekrizität mit Öl und Kohle erzeugt. Wenn man Sie diskutieren hört, könnte man meinen, Sie richten sich lediglich gegen die Abhängigkeit von der Sowjetunion.

Jonas Tamulis: In der Tat wurde über die Ansiedlung der umweltverschmutzenden Industrien in Moskau entschieden. Die Rohstoffe werden hierhergebracht und die Waren gehen zurück in andere Teile der Union. Für uns bleibt vor allem der Dreck. Der Ruf nach nationaler Unabhängigkeit und die Lösung der Umweltprobleme hängen zusammen. Schauen Sie nur auf diesen vollkommen verdreckten Fluß, der durch Vilnius fließt. Die Ostsee wird laufend von Unmengen Gift aus unserer Produktion verschmutzt. Das Waldsterben hat längst begonnen und unsere wunderbaren Landschaften sind geschädigt. Die litauische Wirtschaft muß dringend umstrukturiert werden, sie muß weg von dieser Großindustrie. Dazu brauchen wir übrigens auch westliche Technologien.

Die Atomindustrie ist eines unserer größten Probleme, wir haben hier ein AKW mit zwei Reaktoren, die beide dem Tschernobyl-Standard entsprechen, was sich auch bei den baulichen Mängeln ausdrückt. Geologen haben herausgefunden, daß das AKW auf erdbebengefährdetem Grund gebaut ist. 1908 gab es ein schweres Erdbeben mit der Stärke 6 bis 7 auf der Richterskala. Das AKW ist aber angesichts der Schlampereien bestenfalls für die Stärke 6 ausgelegt. Irgendwelche Planer in Moskau haben einfach entschieden, hier wird ein Atomkraftwerk gebaut, und das, ohne nur einen Gedanken daran zu verschwenden, uns zu fragen. Wir sind ein kleines Land, ein Unfall wie in Tschernobyl würde unsere Nation und unsere Kultur zerstören. Darin besteht der Zusammenhang von Umweltbewegung und dem Streben nach Unabhängigkeit für unser Land.

Sie haben jetzt eine Regierung, die von der nationaldemokratischen Bewegung „Sajudis“ gestellt wird. Die Bürokraten in Moskau haben kaum noch was zu sagen, da müßte sich doch eigentlich schon etwas verändert haben?

Es ist bitter, aber es tut sich nichts. Monatelang wurde nur darüber nachgedacht, wie der Blockade durch die Sowjetunion zu begegnen sei. Wenn unsere Regierung zwischen ökonomischen und ökologischen Maßnahmen entscheiden muß, stellt sie sich auf seiten der Ökonomie und gegen die Natur. Wir müssen von vorne anfangen. Unserer Kritik wird mit Arroganz begegnet, etwa indem gesagt wird: „In Polen sind die Probleme noch größer.“

Interview: Maria Laura Araoz/

Stephan Lamby

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