: Das Museum am Wegesrand
■ Folge 1: Das Arbeitermuseum in der Husemannstraße
Das Museum am Wegesrand ist ein Museum, das ein wenig abseits touristischer Routen liegt, nicht mit großen Zuschauerströmen und Etats protzen kann; abseits auch der Berliner geographischen Mitte liegt, bis hin nach Potsdam, zu kleinen Kirchen, Klöstern und Friedhöfen; hin zu Gedenkstätten neuer und alter Tage; zu Liebevollem und Skurrilem.
Von der russischen Kolonie Alexandrowka bis zu den technischen Denkmälern der Kalkwerke Rüdersdorf; vom Zirkusmuseum in Berlin-Mitte bis zur Mühlenausstellung in Zehlendorf oder zur Präparatesammlung der Humboldt Universität. Dennoch findet hier weder eine neue Märkische Wanderung noch eine Alternativreise in die dunklen Ecken der dunklen DDR und des fahlen Westberlins statt.
Ungefähr einmal im Monat bricht das La Vie an dieser Stelle auf. Den Anfang macht in dieser Woche Volker Handloik mit dem Arbeitermuseum in der Husemannstraße.
Zugegeben. Manches ist im Ostteil Berlins und dessen Umgebung schon wieder museal geworden und wird von postmodernen Taxidermisten liebevoll für eine aufgeweichte multikulturelle Zukunft präpariert. Marxistische Weihestätten und Sanktuarien proletarischer Historizität entblättern im Umbruchwind von verrotteten Legenden und stellen sich endlich der Diskussion der Geschichte. Die veränderte Optik des vereinigten Deutschlands wird diese beiden gegensätzlichen Strömungen forcieren. Dort werden auf Trödelmärkten DDR-Fahnen, »Mach-mit-Schöner-unsere-Städte-Plaketten«, Siegmund Jähn-Gemälde und andere Partikel eines großschnäuzigen Proletkultes versteigert; hier werden zeitgeschichtlich wichtige Museen dem Ruin preisgegeben, und Gedenkstätten, die in ihrer Rhetorik für sich sprechen, im frischen Wind abgeholzt.
Beidem soll nicht nachgegangen werden; weder dem 60er-Jahre-DDR-Kult zwischen Frank Schöbel, dem Hootenannys Singe- Club-Vater Perry Friedmann und Kunststoffasern von Malimo und Grisuten 7030. Weder dies, noch bestehende und ruinöse museale Relikte in der ehemaligen DDR schmunzelnd auf ihre Einseitigkeit abgeklopft werden. Es bleiben sicher genug Wegesränder zu entdecken, die ihre Berechtigung aus ihrer Berufung erhalten, nicht aus Ideologien.
Eines der schönsten Berliner Museen, das Märkische Museum, pflegt im Prenzlauer Berg eine nicht minder präzis konzipierte Dependance. Im Jahre 1982 kündigte sich in der DDR mit der Rückführung des 1851 von C.D. Reich geschaffenen Reiterdenkmals Friedrichs II. aus der Potsdamer Verbannung an seinen angestammten Platz Unter den Linden eine Umbewertung der eigenen Vergangenheit an. Preußische Tradition wurde ebenso integriert wie Martin Luther umbewertet wurde; Bismarck bekam durch die Biographie des Russen Jerusalimskjis im sozialistischen deutschen Staat einen gerechteren Platz; mit der gedankenlosen Rekonstruktion der Berliner Wiege, des Nicolai-Viertels, und der »Übergabe« der Husemannstraße am 5. Juli 1987 durch den 1. Sekretär der Berliner SED-Leitung, Günter Schabowski, rundete sich das Bild einer DDR, die trotz aller parole de force verschämt ihre Arbeiterfaust in die Jackentasche schob.
Das Bürgertum — in der Architektur sichtbar — hatte Einzug gehalten. Die Husemannstraße wurde originalgetreu der Jahrhundertwende nachgestaltet. Hier war alles echt. Oder besser: Illusion. Und in diesem Speculum Mundi des Bürgertums hatte man ein Arbeitermuseum installiert. Ironie? Keineswegs, denn man begriff sich als Bestandteil der Geschichte, einer Geschichte, die älter als der 7.Oktober des Jahres 1949 war, so alt wie die »Restauration 1900« und so alt wie die bourgeoise Jugendstilfassade des Hauses, in dem dieses Museum untergebracht wurde.
Das Märkische Museum stellte die Exponate. Exponate, die den Proletarier verklärt im altersschwachen Augenlicht einer Greisenherrschaft präsentierten. Dennoch: entkleidet man die Expositionen ihrer politischen Didaktik, so boten die Materialien der verschiedenen Ausstellungen — »Das Rote Schöneberg« oder »Berliner Laubenpieper« — einen interessanten Einblick in das Alltagsleben Berliner Arbeiter am Jahrhundertbeginn. Sekundiert wurde diese museologische Aufwertung proletarischen Alltags (ganz im Geiste Zilles: hart aber herzlich) durch mehrere Publikationen in den 80er Jahren. Wichtig hier die dokumentarischen Milieustudien des Kunsthistorikers Paul Thiels — »Berliner Kneipen-Tour« (Berlin, DDR 1984) — oder die zweibändige »Geschichte des Alltags des deutschen Volkes« von Jürgen Kuczynski (Berlin, DDR 1982). Das hier aufbereitete Material wurde dann allerdings ohne kommentierende Fußnote im Arbeitermuseum in Disneyland-Atmosphäre aufgeputzt, wie es Paul Thiel einmal formulierte.
Dem Museum stellte sich die undankbare Aufgabe, in Exponaten eine Geschichte abzubilden, die in diesem Staate nie aufgearbeitet wurde. Die sorgsam aneinander gruppierten Relikte einer fernen Arbeiterwelt bekamen durch das liebevolle Arrangement ein höchst fatales Eigenleben. Ganz und gar nicht mehr bot sich dem Besucher ein kämpferischer, klassenbewußter und zukunftsgläubiger proletarischer Alltag, vielmehr erfüllt von Mief und Radieschenjäten, kleinbürgerlicher Vereinsmeierei und endlosen Saufereien, dumpfer Vergnügungssucht und, ja, wenn einmal Politik ins Spiel kam, dann — wo bleiben da die legendären Schachzirkel der Kommunisten — Schlagdraufundschluß: Nieder mit der Republik! So erzählt das Museum durch den matten Glanz seiner Ausstellungsstücke eine ganz andere Geschichte, als es sollte. Kleingartenkolonien und Weltrevolution?
Das Arbeitermuseum in der Husemannstraße ist allein schon durch sein Da-Sein, unabhängig seiner antiken Inhalte, Zeitgeschichte. Ausgestopfter Proletarier zwischen blaugewürfelter Bettwäsche und Henkelbier; ein höchst eigentümlicher Zwitter von Verklärung und Dokument. Vexierbild eines sozialistischen Altmännerkultes, dessen Träger ihre innere Uhr in Brandenburger Zuchthäusern verloren und die einen Staat wie einen konspirativen Jugendzirkel der KPD leiteten.
Einen erträglichen Bogen zum Museum schlägt sich dem Besucher erst nach Einjährigem Abstand: Ein System ist gegangen und Proletarischsein kein Muß mehr, Dokumentation hat ihre Aureole verloren; Geschichte ist nicht mehr erlebbar, sondern wird erzählt, ist eine Sammlung und keine Doktrin; letztendlich Material geworden statt Hostie, und es ist möglich geworden, dankbarer Besucher zu sein, statt Lästermaul...
bis 26. Dezember: »Die soziale Gebrauchsweise der Fotografie, Teil II der Ausstellungtrilogie« in der Husemannstraße 12, 1058, Di-Sa 11-18, Mi bis 20 Uhr
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