: omm spiel mit mir!
Die verlockendsten Spielplätze für Kinder und manchmal auch Eltern sind ohne Zweifel die vorweihnachtlichen Spielwarenabteilungen der Warenhäuser. Da klingeln die Flipper, summen Computer und quietscht allerlei Getier aus Plastik und Plüsch.
EDITH KRESTA machte einen Spaziergang durch das Paradies der Kinderträume.
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atürlich ist sie nicht out, die Modelleisenbahn. Noch immer tuckert sie durch idyllische Landschaften. Aber nicht die bastelfreudigen Buben bilden eine Traube um das niedliche Modell, das traditonell zum Bestandteil der Spielwarenabteilungen um Weihnachten gehört, sondern die ganz Kleinen, mit Opa und Oma im Hintergrund, oder nostalgisch dreinschauende Väter. Der schon etwas größere männliche Nachwuchs drängelt sich währenddessen begeistert um Heimflipper und Telespiele. Das klirrende Dong- Dong der Flipper übertönt allemal die gemütlich dreinschnaubende Lok nebenan.
Das „Action“-Videospiel ist neben dem Heimcomputer der absolute Renner im Angebot der Spielwarenabteilungen. „Was darfs denn sein?“, fragt der vollbeschäftigte Telespiel- Verkäufer einen etwas irritiert dreinblickenden Herrn mit Sprößling: „Womit er irgendwas abschießen kann“, gibt dieser klare Auskunft über die Vorlieben des Sechsjährigen. „Werwolf oder Nightrider? Oder dieses hier. Er fährt, und alle Autos, die ihm entgegen kommen, schießt er ab.“ Die Wahl fällt schwer. Neben „mystischen Beschwörungsformeln, Elfen, Dolchen und Monstern“ gibt es auch idyllischere Spiele mit Prinzessinen und Diamantensuchern. Die Angebotspalette ist breit und bietet schon den Sechsjährigen „Spaß, Action und Geschicklichkeitstraining“.
Nicht zuletzt um Geschicklichkeit und „den heutzutage unvermeidlichen Umgang mit dem Computer“ gehe es den Eltern bei der Anschaffung eines Heimcomputers für ihre Sprößlinge, versichert der Leiter der Spielwarenabteilung eines großen Kaufhauses. Schon Zweijährige können sich mit dem unumgänglichen Spielzeug fürs Leben amüsieren. Kein Wunder, daß ihnen dadurch jede Scheu vor den Geräten verloren geht. „Drücke auf den Apfel“, empfiehlt die monotone Computerstimme. Das bestätigende „richtig!“ und ein Erfolgstusch „talütala“ stacheln die zukünftigen Computerfreaks zu weiteren Lernfortschritten mit Banane, Birne, Kuh und Schaf, Hose und Jacke an. Mit unterschiedlichen Disketten speist man auch das Telefon „Komm spiel mit mir“. Es übt die gängigen Kinderlieder ein, deutet Töne, erklärt Figuren, die sich auf dem autoähnlichen Armaturenbrett befinden, und bringt den Kleinen das Zählen und Buchstabieren bei. Ein weiterer Vorteil sei, so der Verkäufer, wenn man das Gerät nicht abstelle, mache es immer weiter. „Komm spiel mit mir“ ruft es das lustlos gewordene Kind und zerrt es mit einem neuen Motivationsschub hoffentlich von Mutters Rockzipfel weg.
Auch wer sein Kind mehr in musischer Richtung beschäftigen will, braucht heute keine Familienmusikabende mehr zu veranstalten. Das „redende Keyboard“ weist das Kind in die ersten Geheimnisse der Musik ein. Und wer im Schach brillieren will, hat mit dem Computer einen kompetenten Lehrmeister. Schon die Kleinsten, so der Verkäufer, üben sich darin. Der Computer, ein treuer, kurzweiliger Begleiter fürs Leben: vom Vorschulalter über die Schulzeit, wo er Rechenfehler und Schreibfehler garantiert richtig korrigiert, bis hin zum tristen Achtstundentag, wo er mit Tetris und anderen Spielen die Zeit verkürzt. Kein Wunder, daß der Traumberuf des Lokomotivführers längst vom Wunsch, ein erfolgreicher Hacker zu werden, abgelöst wurde.
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llgemein, so der Abteilungsleiter, sei jedoch eine Tendenz zum traditionellen Spielzeug zu verzeichnen. Die Zeit der übermäßigen Pädagogisierung sei vorbei. Besonders beliebt seien jegliche Art von Gesellschaftsspielen, insbesondere die klassischen Brettspiele. Neue Besinnlichkeit in deutschen Wohnzimmern? Die Familie beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht, weil der 12jährige mit seinem Telespiel Batmann nicht von der Glotze weichen will? Sichtlich wird die Palette der angebotenen Gesellschaftsspiele immer reichhaltiger und nicht nur für die Älteren wird das Themenangebot immer zeitbezogener. Schon die Kleinen ab vier sollen spielerisch für die gebeutelte Umwelt sensibilisiert werden. Bedrohte Tierwelt, Müllprobleme und Naturzerstörung haben Einzug in die Spielkisten gehalten.
Neben diesen Neuerwerbungen sticht auffällig präsentiert ein Oldie ins Auge — ein großer Stapel Monopoly. „Sehr begehrt bei Ex-DDRlern“, erklärt der Abteilungsleiter den neuen Aufschwung dieses Kapitalistenspiels. Der spielerische Versuch, den Tücken der Marktwirtschaft auf die Schliche zu kommen?
Zwei sächselnde Damen schieben sich durch den von knalligen Papageien, grinsenden Affen, bellenden Hunden, tänzelnden Nashörnern und schlafenden Löwen bevölkerten Plüschzoo. Eine Barbie-Puppe, so ist ihrem Gespräch zu entnehmen, steht auf oberster Stelle der Wunschliste einer Enkelin. Neben den mit Monstern kämpfenden „Masters of the Universe“, die kraftstrotzend in voller Manneskraft das Schwert schwingen, ist das Pendant verführerischer Weiblichkeit plaziert: die langmähnige, langbeinige, vollbusige, blonde Schöne in ihrer ganzen Vielfalt. Die zuständige Verkäuferin berät die beiden älteren Damen fachkundig über die kochende, reitende, tanzende, autofahrende Barbie und die ihr zur Verfügung stehende Garderobe und Accessoires. Auch sie, so der Abteilungsleiter, ist nun gefragt wie schon lange nicht mehr. Die zwei Damen haben sich entschieden. Allerdings nicht für die klassische Barbie, sondern für die Magic Nursery. Eine Puppe, die unterm Weihnachtsbaum zum Baby wird. Man hält sie unter Wasser und die Kleidung löst sich auf, herauskommt ein Neugeborenes mit Geburtsschein und Erstausstattung. Junge oder Mädchen, mit oder ohne Haare bleibt der Vorhersehung überlassen. Euch ist ein Kindlein heut' geboren — wenn das Kinderaugen nicht zum Leuchten bringt.
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