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Somalia wartet auf den großen Knall

Nach 21 Jahren Gewaltherrschaft kontrolliert Somalias Militärregime gerade noch die Hauptstadt/ Oppositionsgruppen haben das Land unter sich aufgeteilt/ Entwicklungshelfer ziehen ab, nur die Bundeswehr-Ausbilder sind noch präsent  ■ Aus Mogadischu N. el-Masri

Gleich bei der Ankunft am Flughafen von Mogadischu erhält der Reisende einen Vorgeschmack darauf, wie selbstverständlich die Waffe zum Alltagsleben in der somalischen Hauptstadt gehört: Im Formular zur Zolldeklaration findet sich neben den international üblichen Fragen eine Rubrik, in der nicht nur über mitgeführte Schußwaffen genaue Auskunft gefordert wird, sondern auch über Typus, Kaliber und Munition.

Noch spürt man in Mogadischu nach wie vor das Flair jener Jahrhunderte, als die Stadt wichtiger Warenumschlagplatz für die arabischen Seefahrer war. Danach ließen die Italiener deutliche Spuren ihrer Kolonialverwaltung, Sprache und Eßkultur zurück. Während der Zeit des italienischen Faschismus schickte Mussolini Zehntausende von Siedlern nach Somalia. Öffentliche Bauwerke und Denkmäler im monumental-strengen Mussolini-Stil prägen immer noch den architektonischen Charakter der Stadt, während das Verkehrsgewühl von klapprigen Fiat-Autos dominiert wird.

In den meisten Stadtvierteln — etwa unter den Arkaden am Goldmarkt oder in der traditionsreichen Einkaufsstraße, die früher Via Roma hieß — herrscht reger und scheinbar sorgloser Geschäftsverkehr. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man aber, daß viele Männer Pistolen unter Hemden und Jacken tragen. Kleinere und größere Zwischenfälle sind an der Tagesordnung. Plötzlich beginnen Menschen zu laufen, man hört Schüsse, Männer und Frauen suchen Schutz in Mauernischen, während Sicherheitskräfte herbeieilen, aber meist zu spät am Ort des Geschehens eintreffen. Ein Ende November verkündetes neues Sicherheitsgesetz ermächtigt Polizei und Armee, auf jeden zu schießen, der die Unruhen in der Stadt „zu seinem Vorteil“ nutzt.

Mogadischu lebt seit Monaten im Rhythmus dramatisch angestiegener bewaffneter Überfälle auf Zivilisten. Aufregung herrscht aber nur noch, wenn wieder einmal in nächster Nähe jemand erschossen oder niedergeschlagen wurde oder der Geländewagen einer Hilfsorganisation auf offener Straße gewaltsam den Besitzer gewechselt hat. Ob die Armee, die Opposition oder bewaffnete Banden dahinterstehen, läßt sich meist nicht feststellen. Mit Sicherheit geht aber der Großteil der Fahrzeuge an die Bürgerkriegsfront.

Die somalische Militärführung unter dem seit 1969 regierenden Staatschef Siad Barre hat die Kontrolle über das Land nach zweieinhalb Jahren Bürgerkrieg längst verloren. Der Vereinigte Somalische Kongreß (USC) steht bereits etwa fünfzig Kilometer nördlich von Mogadischu. Vom Süden her rückt die Somalische Patriotische Bewegung (SPM) vor und kontrolliert zeitweise die Hafenstadt Kisimayo. Da alle Verbindungsstraßen Mogadischus ins Landesinnere von der Opposition oder anderen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, ist die Hauptstadt praktisch abgeschnitten. Und so macht denn auch momentan der Witz die Runde: „Was ist der neue Titel von Siad Barre? — Bürgermeister von Mogadischu.“

In Mogadischu selbst ist den Sicherheitskräften die Lage bereits so weit entglitten, daß bekannte Oppositionelle und sogar Vertreter der bewaffneten Rebellengruppen auf offener Straße mit Journalisten Kontakt aufnehmen. Regimegegner sitzen auf hohen Posten in Ministerien und im Einparteienparlament. Selbst im Büro des Präsidenten finden sich Angestellte, die nach Dienstschluß gegen das Regime aktiv werden, erfährt man in Gesprächen mit Oppositionellen. In Musikläden werden regimekritische Lieder der Sängerin Saadi Ali verkauft, in denen sie die Massaker im Stadion von Mogadischu anprangert. Dort schossen Soldaten im Juli wahllos in die Menge, nachdem einige Somalis vor dem Beginn eines Fußballmatches Buhrufe gegen den anwesenden Staatschef gerichtet hatten. Mehr als 120 Menschen starben.

Anfang Dezember hat der Bürgerkrieg offenbar auch Mogadischu selbst erfaßt. Mindestens sechzig Menschen sind bei Gefechten im Stadtzentrum ums Leben gekommen. Der Klan der Abgale, Sympathisanten des USC, beschuldigt dabei den Klan der Galgalo, auf Angehörige der Abgale das Feuer eröffnet zu haben — und zwar mit Waffen, die sie von Siad Barre bekommen hätten.

Wirtschaftlich ist das Land schon so heruntergekommen, daß die stolzen Somalis bereits ihre Kinder zum Betteln auf die Straße schicken — eine Situation, sagen Alteingesessene, wie sie noch vor einem halben Jahr undenkbar gewesen sei. Regierungsbeamte bessern ihre Monatsgehälter (im Gegenwert eines Huhnes) oft durch Erpressung und Schmiergeldforderungen auf. Soldaten, die bereits monatelang keinen Sold bekommen haben, verkaufen ihre Waffen und Uniformen.

Die wenigen verbliebenen Ausländer verlassen nach und nach das Land. Die diplomatischen Vertretungen und die wenigen noch verbliebenen Hilfsorganisationen reduzieren ihr Personal auf ein Minimum. Deutschland hat seine Experten schon lange abgezogen, nur die Bundeswehr hat noch Ausbilder für die Polizei in der Stadt.

Noch fühlen sich die Rebellenverbände zu schwach, um Mogadischu einzunehmen. Die Opposition scheut sich derzeit auch noch davor, nach einem eventuellen Sieg die Verantwortung über das ganze Land zu übernehmen und eine Regierung zu stellen. Denn einig ist man sich nur in der Forderung, daß Barre nach 21 Jahren Gewaltherrschaft gehen muß. Von einem Konsens über die politische Zukunft Somalias sind die einzelnen Oppositionsgruppen aber noch weit entfernt.

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