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■ Die Verkehrswege in den neuen deutschen Bundesländern sind in einem nach West-Maßstäben katastrophalen Zustand. Mit Ausnahmeregelungen und Grundgesetzänderung soll schnell gehandelt werden — für den Autoverkehr oder für die Bahn?

Eigentlich ist es zum Heulen. Da herrscht nach jahrelangen Debatten über den explodierenden Individualverkehr endlich Einigkeit darüber, daß die Nutzung der individuellen Blechkiste teurer werden muß. Im Land des Autofetischismus und der ökologischen Sensibilisierung sind immer mehr Menschen bereit, den umweltbelastenden Luxus auch auf Kosten ihrer (ausufernden) Mobilitätsbedürfnisse einzuschränken. Und dann wird die Koalitionsdebatte über den Königsweg für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur der neuen Bundesländer nicht unter dem Gesichtspunkt der ökologischen Optimierung, sondern unter dem Sachzwang der „leeren Kassen“ geführt.

Ökologische Steuerung, lange Zeit das Zauberwort, unter dem die Koalitionsparteien wie die Opposition über Verkehrspolitik debattierten, spielt bei der nun vorgeschlagenen Vignetten-Lösung keine Rolle mehr. Pauschal 100 Mark für jeden PKW-, 1000 für jeden LKW-Besitzer sind vorgeschlagen worden. Ob einer viel oder wenig fährt, soll keine Rolle spielen.

Die Befürworter dieser Regelung, vornehmlich aus den Unionsparteien, spekulieren offenbar auf einen psychologischen Effekt beim Autofahrer, der es lieber mag, einmal im Jahr zur Kasse gebeten zu werden, als jedesmal, wenn er zum Benzinzapfhahn greift, zusätzlich zu löhnen. Eine Autobahn- oder Straßenbenutzungsgebühr ist praktisch nichts anderes als eine Anhebung der Kraftfahrzeugsteuer, unabhängig vom Hubraum oder vom Schadstoffausstoß — nur wird sie anders erhoben. Weil die Bundesregierung vor den Wahlen Steuererhöhungen zur Finanzierung der Einheit rigoros abgelehnt hat, nennt sie nun „Gebühr“, was faktisch einer Steuererhöhung gleichkommt.

Bundesumweltminister Töpfer hat in der vergangenen Woche deutlich genug gesagt, worum es ihm bei seinen Vorschlägen, die sich teilweise von denen aus CDU und CSU- Fraktion unterscheiden, geht: um die Verhinderung des drohenden „Verkehrsinfarkts“. Mit anderen Worten: Der explodierende Verkehr soll nicht auf ein ökologisch verträgliches Maß begrenzt, sondern wieder in Gang kommen — und zwar so schnell wie möglich. Dazu braucht der Minister erstens Vignetten und zweitens ein „Maßnahmegesetz“, das die Beteiligungsrechte der BürgerInnen in den neuen Bundesländern einschränken würde (s. Interview).

Bereits im September hat der scheidende Bundesverkehrsminister Friedrich Zimmermann die folgende Rechnung aufgemacht: Allein der Neu- und Ausbau der Straßen in der ehemaligen DDR werde 50 Milliarden Mark verschlingen. In demselben Zeitraum sollen die Bundesfernstraßen im Westen mit 34 Milliarden Mark zu Buche schlagen. Das „Bapperl“ an der Windschutzscheibe bringt nach Berechnungen aus dem Hause Zimmermann vier bis sechs Milliarden jährlich. Vom in allen Wahlkampfprogrammen verbreiteten „vorrangigen Ausbau des Schienenverkehrs“ ist bei den Koalitionsverhandlungen kaum noch die Rede.

Die ökologische Gegenrechnung machte erst kürzlich der Präsident des Umweltbundesamtes, Heinrich von Lersner, auf:

—Der Verkehr verschlingt inzwischen mehr als ein Viertel des Endenergieverbrauchs

—fast ein Fünftel der klimawirksamen Kohlendioxidemissionen stammt aus den Auspuffgasen

—Stickoxide, zuständig für Waldsterben und Sommersmog, gehen überwiegend auf das Konto der Autofahrer

—mehr als die Hälfte der Bevölkerung leidet unter Straßenverkehrslärm

—die Versiegelung der Landschaft stieg in den vergangenen 30 Jahren um ein Drittel.

Inzwischen weht den Vignetten- Fans aus der Koalition der Wind scharf ins Gesicht. Daß der brandenburgische Umweltminister Mathias Platzek (Bündnis 90) gegen den Aufkleber und für eine Mineralölsteuererhöhung plädiert, ist wenig überraschend. Und auch die Position der SPD ist ebenso bekannt wie unter Umweltgesichtspunkten einleuchtend: Die Kfz-Steuer soll abgeschafft und auf die Mineralölsteuer umgelegt werden, so daß belohnt wird, wer sein Fahrzeug stehen läßt. Der DGB sprach im übrigen von einer „puren Geldbeschaffungsaktion“.

Schwerer für die Durchsetzungschancen wiegt der Widerstand, den die FDP, namentlich ihr Fraktionsvorsitzender Wolfgang Mischnick, angemeldet hat. Und auch Umweltminister Töpfer konnte sein Bauchgrimmen angesichts dieser überraschenden „Patentlösung“ gestern nur mühsam unter diplomatischen Formeln verbergen: Es sei alles sinnvoll, meinte der Minister, was dazu führe, daß der Straßenverkehr mit seinen tatsächlichen Kosten belastet werde. Deshalb gehöre insbesondere der Güterverkehr verstärkt auf die Schiene. Die Vignette sei „nicht die Maßnahme, aber möglicherweise eine Maßnahme“ in einem Gesamtkonzept, das den Verkehr umweltverträglicher machen könne. Innerhalb eines solchen Gesamkonzepts müsse die Vignette „gezielt“ für die Entwicklung eines umweltverträglichen Verkehrssystems genutzt werden.

Die große Wende schien Töpfer gestern nachmittag bezüglich des von ihm selbst geforderten Maßnahmegesetzes zum Ausbau des Verkehrssystems in den neuen Ländern antreten zu wollen: Er habe dabei lediglich an eine Beschleunigung beim Ausbau des Schienennetzes gedacht, um die Umwelt möglichst rasch zu entlasten.

Wie weit Maßnahmegesetze auch für Straßenbauvorhaben in Betracht kommen könnten, sei Sache der zuständigen Länder, zog sich der Minister aus der Affäre. Entschieden wandte er sich gegen eine Grundgesetzänderung, die in Unionskreisen für ein Maßnahmegesetz für erforderlich gehalten wird. Gerd Rosenkranz

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