Burmas Studenten auf dem langen Marsch

Nach dem Militärmassaker von 1988 mußten tausende Oppositionelle nach Thailand fliehen/ Dort versuchten sie, auf ihre Situation aufmerksam zu machen/ Nun hat die thailändische Regierung ihren „Gästen“ politische Abstinenz verordnet — andernfalls droht die Abschiebung in den Tod  ■ Aus Bangkok Paul Simon

Sie sind wieder auf der Flucht, die mehr als 2.000 burmesischen Studenten, die nach der blutigen Niederschlagung der Oppositionsbewegung im September 1988 nach Thailand geflohen waren — diesmal vor ihren thailändischen Häschern. Und sie fürchten, von den Behörden ihres „Gast“-Landes in ein Sammellager gesteckt zu werden. Die thailändische Regierung hatte damit auf die Entführung einer thailändischen Verkehrsmaschine nach Kalkutta reagiert, die burmesische Studenten Anfang November in Bangkok durchführten. Die Studenten wollten mit dieser Aktion auf die Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land aufmerksam machen.

Nach Schätzungen westlicher Beobachter waren damals in Burma über tausend Menschen massakriert worden, als das Militär gegen Großdemonstrationen vorging. Rund 8.000 Studenten, buddhistische Mönche und andere Bürger des Landes flohen in die Grenzregion zu Thailand, die seit Jahrzehnten von aufständischen Minderheitengruppen kontrolliert wird. Ein großer Teil von ihnen ließ sich in den Lagern der ethnischen Minoritäten militärisch ausbilden. Doch im Zuge der Offensive der burmesischen Armee Anfang dieses Jahres mußten viele Stützpunkte aufgegeben werden. Zahlreiche Studenten kehrten daraufhin in ihre Städte nach Burma zurück. Manche von ihnen wurden dabei vom Militär aufgegriffen, ins Gefängnis gesteckt und schwer gefoltert, andere gelten als verschwunden. Andere schlugen sich nach Bangkok durch.

Obwohl etliche aufgrund ihrer illegalen Einreise häufig verhaftet und ständig von Abschiebung bedroht sind, genoß doch ein größerer Teil von ihnen den Schutz des UNHCR, der UN-Flüchtlingshilfsorganisation. Diese vergab auf Antrag Flüchtlingspässe und gewährte auch einen kleinen monatlichen Unterhaltsbeitrag von umgerechnet rund 200 D-Mark. Internationale Hilfsorganisationen versorgten die in den Lagern der ethnischen Minderheiten Verbliebenen mit Lebensmitteln, Medikamenten und Literatur.

Doch das soll nun nach dem Willen des thailändischen Innenministers anders werden. Alle Formen der Unterstützung durch thailändische wie internationale Organisationen, so wurde verfügt, sind ab sofort einzustellen. Bei Zuwiderhandlungen drohen hohe Geldstrafen, Ausweisung oder gar Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren. Die burmesischen Studenten wurden aufgefordert, sich bei den thailändischen Behörden für ihre Einweisung in ein geplantes Sammellager registrieren zu lassen. Von dieser Maßnahme betroffen sind 2.000 burmesische Studenten in Bangkok und 3.000 in den Lagern entlang der Grenze.

„Den Studenten stehen wirklich harte Zeiten bevor“, sagt Dr. Thiha, Vorsitzender der in Bangkok residierenden „Nationalen Übersee-Organisation Burmesischer Studenten“ (ONSOB). „Sie fürchten die thailändische Polizei und wissen um die engen Kontakte zwischen thailändischem und burmesischem Militär. Nun droht ihnen auch noch, die Unterstützung durch das UNHCR entzogen zu werden. Manche wagen sich gar nicht mehr nach Hause und irren Tag und Nacht umher.“

Huey Mark ist ein dichtbesiedelter Vorort von Bangkok. Studenten der nahen Ramkhamhaeng Universität, einer offenen Universität, die weder Eingangsprüfungen noch Anwesenheitspflicht verlangt, beherrschen das Straßenbild. Alle umliegenden Häuser sind an Universitätsbesucher vermietet, meist teilen sie sich zu zweit oder dritt ein Zimmer. In dieser Gegend haben auch eine Menge Studenten aus Burma mit Hilfe thailändischer Studentenorganisationen Unterschlupf gefunden. So auch Aung Maw, ein 22jähriger Jurastudent der Rangooner Universität, der mit seinen drei Zimmergenossen schon mehrere Monate auf engstem Raum zusammenhaust. Der einzige Wandschmuck: ein zerknittertes Foto von Aung San Suu Kyi, der populären Führerin der „Nationalen Liga für Demokratie“ (NLD) und Siegerin der Wahlen vom Mai dieses Jahres, die dessen ungeachtet, seit zwei Jahren vom Militär unter Hausarrest gehalten wird.

„Normalerweise“, berichtet Aung Maw, „finden die Überfälle der thailändischen Polizei zwischen zwei und fünf Uhr morgens statt. Zusammen mit rund fünfzig burmesischen Freunden meiden wir seit ein paar Tagen unsere Wohnungen während dieser Zeit. Wir verbringen die Stunden meist in öffentlichen Verkehrsmitteln, fahren von einer Endstation zur nächsten, ehe wir uns gegen Morgen wieder nach Hause wagen. Andere schlafen auch auf Plätzen oder in Tempeln. Schlimmer noch, vielen von uns wurden infolge der thailändischen Zeitungskampagnen die Zimmer gekündigt. Einigen verweigert man in den Hospitälern die Behandlung.“

Die thailändische Regierung, besorgt um ihre guten Kontakte zur burmesischen Regierung, will nun gegenüber den burmesischen Flüchtlingen eine härtere Gangart einschlagen. Während über das Rangooner Militärregime seit dem Massaker vor zwei Jahren von den meisten westlichen Industrienationen ein Wirtschaftsboykott verhängt wurde, nutzte Thailand die Gunst der Stunde und ist mittlerweile zum wichtigsten Außenhandelspartner Burmas aufgestiegen. Thailändischen Firmen wurden großzügige Konzessionen im Abbau tropischer Edelhölzer gewährt, ebenso bei der Vergabe von Fischfangrechten und bei der Förderung von Bodenschätzen.

Die politischen Aktivitäten der burmesischen Studenten in Bangkok, ihre in alle Welt versandten Protestschriften und die häufigen Demonstrationen vor der diplomatischen Vertretung ihres Landes, sind der thailändischen Regierung, insbesondere aber der Militärführung, schon lange ein Dorn im Auge. Es war aber vor allem die jüngste Flugzeugentführung, von Bangkok aus geplant und durchgeführt, die trotz ihres friedlichen Verlaufs, wie es ein Beamter des thailändischen Innenministeriums ausdrückte, „die Geduld der thailändischen Gastgeber überstrapaziert“ hat. Bei Fortsetzung ihrer politischen Aktionen riskieren die burmesischen Studenten jetzt ihre sofortige Ausweisung, was für viele den sicheren Tod bedeuten würde, sollten sie Burmas Militär übergeben werden.

„Die burmesischen Studenten in Bangkok und alle entlang der Grenze zu Burma fürchten aus guten Gründen, von thailändischen Soldaten in Lager gesteckt zu werden“, so Bob Miller, seit zwei Jahren Mitarbeiter des UNHCR. „Angesichts der gegenwärtigen Lage werden wir ohne größeren internationalen Druck auf die thailändische Regierung die Einrichtung solcher Lager nicht verhindern können. Das einzige, was uns bleibt, ist, in zähen Verhandlungen mit Thailands Innenministerium möglichst günstige Lebensbedingungen sicherzustellen. Die Lagerhoheit zum Beispiel sollte unter internationaler Aufsicht stehen und nicht der Armee oder gar dem Geheimdienst übertragen werden. Auch sollten Reisefreiheit und politische Betätigung garantiert sein.“

Was der UNHCR-Vertreter allerdings nicht erwähnt, ist die Tatsache, daß seit ein paar Tagen seine Behörde den Burmesen Formulare aushändigt, in denen sie erklären müssen, sich zukünftig jeglicher politischer Aktivitäten zu enthalten. Anderfalls büßen sie den Schutz und die monatlichen Gelder des UNHCR ein. Dadurch aber werden die politisch Aktiven samt ihrer Organisationen in den Untergrund gedrängt und den Thaibehörden zum Abschuß freigegeben.

„Wenn man uns hier nicht länger duldet und das UNHCR nicht in der Lage ist, uns zu schützen, bleibt keine andere Wahl als nach Rangoon zurückzukehren“, meint resigniert Aung Maw. „Wir werden gemeinsam von Thailands Grenze nach Rangoon marschieren.“