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Joschka Fischer als Antidepressivum im Wahlkampf

Als Hoffnungsträger und Mutmacher im hessischen Landtagswahlkampf wird der Frankfurter begeistert gefeiert  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Er wippt in den Knien, wird laut und leise und wieder laut. Über eine Stunde lang zieht Joschka Fischer (Grüne) etliche Register seiner rhetorischen Qualitäten. Warum aber ist es so mucksmäuschenstill im Saal bei der Veranstaltung der Grünen im hessischen Landtagswahlkampf? Irgendwie scheint das Publikum im sonst eher aufmüpfigen Frankfurt- Bockenheim unter einem Schock zu stehen. Es hängt wie gebannt an den Lippen des Redners. Der erledigt den einzigen Zwischenruf mit einem eher belustigten: „Jetzt ist aber Ruhe!“ Da klatschen sie, die BockenheimerInnen. So wollen sie ihn haben, „ihren Joschka“, als Hoffnungsträger, als Motor gegen die Resignation nach dem Desaster.

Und er macht ihnen Mut, er kämpft mit dem ganzen, rundlichen Körper, mit Armen und Beinen, die Äuglein im angejahrten Lausbubengesicht kneifen sich zusammen, werden wieder riesengroß, die Augenbrauen wandern nachgerade über die Stirn von zornig gerunzelt bis sichelförmig, fast bis an den Haaransatz hochgezogen. Gut, ganz wunderbar, seien sie eigentlich gewesen, die Bundestagsgrünen, aber: „Das kam nicht rüber!“ Wer, bitte sehr, kenne denn die hervorragenden grünen Konzepte zum Sondermüll und zur Klimakatastrophe? Eben: Keiner!

Hessen, das sei die Chance, den bundesweiten „Trend umzudrehen“! Was Joschka Fischer alles mit den Händen macht, während er dem Saal das erschreckliche Bild eines neuen Deutschlands ohne Grüne suggeriert, ist artistisch meisterlich. Daumen und Zeigefinger beider Hände formen sich zum Kreis, als er den Rückfall in die siebziger, „ja, in die fünfziger Jahre“ beschreibt. Er läßt alle zehn Finger balettartig wedeln und flattern, dreht die Handflächen synchron nach oben, nach unten, zur Seite, fährt die Zeigefinger aus und sticht sie im Stakkato in die Luft, während er die Umweltpolitik der CDU als nicht existent entlarvt, an Tschernobyl erinnert. Zorn, Besorgnis, Bitternis, bissiger Spott über die Explosion in der Hanauer Nuklearfabrik — Fischer tunkt das Publikum ins Wechselbad der Gefühle.

Der Mann hackt nachgerade mit den Händen Holz, als er die Gefahren der Atomkraft beschwört. Dann drehen sich die Finger, bilden Körbchen, in denen er die umfassende Fülle grüner Themen nacheinander verpackt: Verkehr, Energie, Frauen, Schule, Drogen, Asylrecht.

Ein moderater Seitenhieb trifft seine Frankfurter KollegInnen: „Natürlich geht mir die Verkehrsberuhigung viel zu langsam!“ Die Basis aber müsse lernen, den „Widerspruch zwischen Utopie, zwischen Vision und Realität auszuhalten“.

Drei Dinge sollen die Grünen wollen: als Partei dritte Kraft bleiben, ein rot-grünes Bündnis, eine Trendwende im Lande gegen die CDU. Und dann fahren die Finger noch einmal auf die Versammlung los. Soll es denn so bleiben, daß die SPD „und wir der gesamtgesellschaftliche Betriebsrat sind und die anderen die Chefetage“? Nein, natürlich nicht: „Nehmt euer Schicksal in die eigene Hand!“ Der Saal applaudiert heftig und anhaltend und geht getröstet nach Hause.

War ich gut?“ fragt der Kandidat hinterher im Wirtshaus. „Daß jemand über eine Stunde lang frei reden kann“, sagt eine geschmäcklierische grüne Kritikerin, „das hat man heute selten.“

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