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Organhandel: Biete Niere, suche Herz

Mediziner diskutieren auf dem 1. internationalen Kongreß für „Ethik, Justiz und Kommerz in der Organersatz-Therapie“ juristische und ethische Probleme der Organspende/ In der BRD fehlen Spenderorgane/ Inder verkaufen billig ihre Nieren  ■ Von Hanna Rheinz

Vor wenigen Tagen verstarb Fürst von Thurn und Taxis, weil sein Körper die beiden Spenderherzen nicht annehmen wollte. Solche Herztransplantationen gehören heute zu den Standardoperationen. Die Transplantationsmedizin hat seit der ersten Nierenverpflanzung im Jahre 1954 rasante Fortschritte gemacht. Inzwischen werden auch Leber, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm und sogar ein Lungenflügel übertragen.

Während hierzulande die Sterblichkeitsrate der Nierenerkrankungen durch die Dialyse drastisch zurückgegangen ist, liegt sie in den Ländern der Dritten Welt bei 98 Prozent. Es fehlen Dialysezentren, und die einzige Rettung scheint eine Transplantation. Durch diese Situation kam es in den letzten Jahren zu einem florierenden Transplantationstourismus. Kommerzielle Aspekte bei der Organverteilung sowie die Tendenz einer Zweiklassenmedizin setzen Signale. Internationale Bemühungen, dem Verfall der ärztlichen Ethik entgegenzuwirken, sind deshalb dringend nötig.

Dieses Anliegen führte Experten aus aller Welt zum ersten Internationalen Kongreß für „Ethik, Justiz und Kommerz in der Organersatz-Therapie“ zusammen, der von der Europäischen Vereiningung für Organtransplantation (ESOT) und der Europäischen Vereinigung der Nephrologen und Dialyseärzte (EDETA/ ERA) in der vergangenen Woche in München organisiert wurde.

Ärzte aus Transplantations- und Dialysezentren, Medizinethiker sowie Psychologen aus den USA — in der Bundesrepublik gibt es noch keine Lehrstühle für Bioethik — diskutierten juristische und ethische Probleme der Transplantations- und Organersatzmedizin. In keinem anderen Gebiet der Medizin wird so klar über Leben und Tod entschieden. Dabei kann der Arzt nicht die Interessen aller Patienten berücksichtigen. So bleibt die Frage, wie er die wenigen verfügbaren Organe gerecht verteilt. Ein Ärztegremium und „Eurotransplan“, die Zentralstelle für Organverteilung in den Niederlanden, entscheiden sehr kurzfristig über die Verteilung. Die medizinischen Entscheidungskriterien wie die Gewebekompatibilität, die einer Immunabstoßungsreaktion vorbeugt, und der Ausschluß von Risikofaktoren reichen aber nicht aus, wenn mehrere Patienten diese Bedingungen gleichzeitig erfüllen. Deshalb spielen nicht nur der Gesundheitszustand und das Alter, sondern auch die soziale Integration und Kooperation mit dem Arzt eine Rolle. Hat künftig ein Krimineller, ein Alkoholiker, ein HIV-Positiver oder ein Alleinstehender überhaupt noch eine Chance, weil er der Gemeinschaft weniger von Nutzen ist als eine Mutter mit kleinen Kindern?

Die Wartezeit für ein Herz oder eine Niere beträgt oft mehrere Jahre. In Ausnahmefällen können auch zwei Transplantate übertragen werden, weil die Ärzte unbedingt ein Leben retten wollen. Der Fürst von Thurn und Taxis hat es seinem Namen zu verdanken, daß ihm zweimal ein Herz transplantiert wurde. Viele ereilt inzwischen möglicherweise der Tod auf der Warteliste. Die postmortalen Organe decken aber nicht den Bedarf. Eine mögliche Lösung wären Organspender aus der eigenen Familie. Doch obwohl es gesetzlich kein Verbot von Organspenden durch Blutsverwandte gibt, weigern sich viele Chirurgen in der Bundesrepublik, solche Lebendspender zu akzeptieren. In Deutschland soll der Chirurg allein verantwortlich beurteilen, ob die Entscheidung des Spenders freiwillig oder durch psychologischen Druck zustande kam. Wenn der Spender Angst vor einem Eingriff hat — jede Operation birgt ein Risiko — entsteht ein Konflikt: Wenn er sich weigert, wird er als herzlos verschrien.

In Griechenland wird alleinder Bedarf an Nierentransplantaten zu 80 bis 85 Prozent von Lebendspendern gedeckt, in den USA zu 50 Prozent. Auf jeden Fall ist eine Transplantation nicht nur billiger, sie verbessert auch die Lebensqualität des Patienten. Er kann sich frei bewegen und muß nicht zweimal wöchentlich zur Dialyse. Die Dialyse kostet jährlich pro Patient 100.000 D-Mark. Sie muß bis zum Lebensende durchgeführt werden. Aber es darf dabei nicht übersehen werden, daß der Dialysearzt natürlich auch vom Dialysepatienten lebt. Denn 60 Prozent aller Dialysepatienten könnten transplantiert werden, doch nur 25 Prozent stehen auf der Warteliste. „Gefangen in der Dialyse“ nannten die Experten in München das Phänomen, daß gerade reiche Patienten geringe Chancen haben, einen neue Niere zu erhalten.

In Indien werden seit 1971 Transplantationen durchgeführt. Die postmortale Organentnahme wird nicht praktiziert. Das liegt nicht an fehlenden Lebendspendern, sondern an der mangelnden medizinischen Ausstattung. Der Handel blüht und auf Grund der vielen, aus der unteren Schicht kommenden Spendewilligen ist der Marktpreis für eine Niere bereits gesunken. Sie kostet 2.700 D-Mark, das durchschnittliche Monatseinkommen liegt bei 35 bis 50 D-Mark. „Aus humanitären Gründen“ werden in Indien auch zahlungsfähige Ausländer transplantiert. Sie kommen vorwiegend aus dem Nahen Osten. Aber die medizinische Nachsorge entspricht ebenfalls oft nicht dem professionellen Standard. Allein in Bombay sind 80 Prozent der Blutkonserven mit dem Aids-Virus verseucht. 40 Prozent der 400 seit 1986 transplantierten Patienten aus Kuwait seien nun HIV-positiv, stellte der Mediziner George Abouna aus Kuwait fest. Bereits 1986 startete Kuwait eine Initiative, um den Organhandel zu stoppen. Weil Transplantate gekauft werden können, stagnierte das regionale Transplantationsprogramm. Gerade in Kuwait mit seiner weltweit höchsten Zahl an Verkehrstoten, so Abouna, könnte der Organbedarf durch die postmortale Entnahme gedeckt werden. Eine düstere Vision malte auch der Vorsitzende der Gesellschaft indischer Nierenärzte: Wenn die Entwicklung so weitergehe, werde es im Jahr 2000 keinen Inder der Unterschicht mehr geben, der noch beide Nieren hat.

Die Kongreßteilnehmer lehnten zwar einstimmig den Handel mit Organen ab, aber konnten auch keine Alternative aufzeigen, um den Organmarkt zu kontrollieren. Für eine „Schmerzensgeldzahlung“, daß heißt eine festgesetzte, von den Krankenkassen bezahlte Entschädigung oder Steuererlaß, sei die Zeit noch nicht reif, hieß es lapidar.

Trotzdem scheint die Medizinethik Gestalt anzunehmen. Also wird es in den Ländern der Dritten Welt bei frommen Wünschen nach einer effektiveren Kontrolle vorläufig bleiben. Der Organhandel wird weiter florieren, da ohne Lebendspenden die Mortalitätsrate steigen würde.

In den Ländern der westlichen Welt könnte es, — wenn die Resolutionen des Kongresses angenommen werden —, zu einer Liberalisierung der Organspenden kommen. Dann würden genetisch und emotional Verwandte als Spender akzeptiert. Also wären Ehepartner, Freunde oder homosexuelle Paare, sofern sie die medizinischen Kriterien erfüllen und über die Risiken informiert wurden, als Lebendspender gebilligt.

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