: Volles Vertrauen?
■ De Maizière verdient kein Mitleid, die neuen Bundesbürger verdienen Aufklärung KOMMENTAR
Man sollte zu Hause am Bildschirm so richtig Mitleid kriegen mit diesem armen, höchst sensiblen und moralisch anspruchsvollen Lothar de Maizière. Der Fernsehmoderator berichtete beeindruckt von seinem Telefongespräch direkt vor der Sendung und entschuldigte das psychisch zusammengebrochene Opfer.
Was wird derzeit in Bonn gespielt zum Fall de Maizière? Wie kann ein Fernsehmoderator Engert im Brennpunkt noch einmal die Version „Betonplatte drauf“, das heißt Schwamm drüber, ins Gespräch bringen angesichts der Aktenlage, über die der Stasi-Auflöser Gauck eine deutliche eigene Meinung zu haben scheint und die uns der Parteifreund de Maizières, Innenminister Schäuble, vorenthält? Wenn Kanzler Kohl zu de Maizière „volles Vertrauen gewonnen“ hat im Verlaufe der letzten Monate — soll das heißen, daß de Maizière selbst den Kanzler vertrauensvoll informiert hat über die Art seiner Stasi-Kontakte? Oder heißt „volles Vertrauen“, daß Kohl wenig wußte, von de Maizière nichts gesagt bekam und dennoch nicht überrascht ist durch die Enthüllungen?
Wie die Bilder sich gleichen! Als der Parteivorsitzende des „Demokratischen Aufbruchs“, der Rostocker Anwalt Wolfgang Schnur, unter der erdrückenden Last der Indizien auf sein Amt verzichtete, stellte sich Rainer Eppelmann vor den Parteifreund und sprach ihm persönlich sein „volles Vertrauen“ aus. Als der DDR-CDU-Generalsekretär Kirchner nach wochenlangen Gerüchten mit eindeutigen Indizien konfrontiert werden konnte, rief de Maizière seinem Intimus das „volle persönliche Vertrauen“ hinterher. Als der SPD-Vorsitzende Ibrahim Böhme durch Veröffentlichungen belastet wurde, verzichtete er auf seinen Posten mit der Ankündigung, er wolle seine Unschuld nachweisen. Die SPD hievte ihn, als das vergessen schien, in den gesamtdeutschen SPD-Vorstand. Es bedurfte einer zweiten Enthüllung — Rainer Kunze sei Dank —, bis er sich endgültig von seinen politischen Ambitionen verabschiedete.
Erstaunlich ist die moralische Unverfrorenheit, mit der nach Schnur und Böhme nun auch de Maizière die eigenen Stasi-Verstrickungen vertuscht und geleugnet hat. Immerhin haben bisher die Enthüllungen von ehemaligen Stasi-Agenten über Spitzenpolitiker aus der ehemaligen DDR gestimmt, die Dementis der Betroffenen selten. Auch wenn seine Dienste für die Staatssicherheit weniger vorsätzlich und weniger hinterhältig waren als im Falle Schnur und Böhme — Mitleid verdient er nicht. Ein Jahr lang hatte de Maizière Zeit, seine konspirativen Treffen „im Rahmen normaler anwaltlicher Kontakte“ mit der Stasi zu offenbaren — bevor es ihn erwischt hat. Glaubwürdig wäre de Maizière gewesen, wenn er über die Verstrickungen eines Anwaltes ins Stasi-System am eigenen Fall geredet hätte — um zur Aufarbeitung der Geschichte des DDR-Sozialismus beizutragen. Aber er wollte lieber Karriere machen. Welche Wendigkeit, welche Verlogenheit gegen sich selbst kann man ihm unterstellen für die Zeit, als er noch der „Krake Stasi“ dienlich war?
Auch wenn die öffentlich-rechtlichen Bonner Meinungsmacher sich am Abend nach de Maizières Absturz als Echo des Kanzlers betätigten, bleibt eines Tatsache: das Kanzleramt wußte seit Monaten von den Indizien gegen de Maizière, Kohl wollte die Aufklärung nicht. Klaus Wolschner
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