: Parmaschinken auf der Autostrada
■ Eröffnungstumult auf der Ausstellung »Italstat« in der TU-Berlin
Eine dicke Italienerin schrie »Mama mia« und rappelte sich. Eben hatte sich ein netter Demonstrant zu stürmisch ihrem wogenden Busen genähert. Dabei blieb ihr wohl die Luft weg. Die kleine Brünette dagegen machte es theatralischer: Als auch ihr sich nette Demonstranten näherten, hielt sie einfach so lange den Atem an, bis sie von selbst in Ohnmacht fiel. Mit einer Pirouette taumelte sie gekonnt in die Arme ihres Galans. Der lächelte selig. Alldieweil möbelten ein paar unruhig gewordene Alt-Gladios, als Cossiga-Bodyguards getarnt, auf ArchitekturstudentInnen ein. Denn die hatten hungergepeinigt vor, das kalte Büffet zu stürmen, weil man ihnen trotz Einladung den Zutritt zum Bankettsaal verwehrte.
Die Protestierer waren den Schlägern schon unangenehm aufgefallen, als sie die Eröffnungsveranstaltung zur Architekturausstellung Fünf Projekte für Europa im Lichthof der TU-Berlin mit Transparenten wie »Bezahlbare Wohnungen statt Großprojekte!« oder »Europa ist obdachlos!« inklusive eines Flugblattregens und Pfiffen für Momper, Cossiga und von Weizsäcker mächtig durcheinanderbrachten. Die beiden Staatspräsidenten hatten sich nach Kurzreden über die TU, Berlin, Deutschland, Italien, Europa und die Welt zu einer flotten Runde mit Walter Momper durch die von der Kapitalgruppe »Italstat« präsentierte Schau aufgemacht, als ein Gerangel, Geschiebe und Getöse einsetzte, daß die Fäuste flogen. Walter riet da zum Abdrehen. Abgesehen von den durchaus richtigen Forderungen der Protestierer verlief das Weitere wie gehabt: Che bella festa! Nach dem erfolgreichen Sturm auf das kalte Büffet schmatzten die Studis nicht lauter wie die in Dunkelblau und weißschalig, sonnenbebrillt und wunderbar pomadig aufgetretenen Italo-Gäste, die sie eben in die Flucht, sprich in die Oper getrieben hatten.
Warum ein solches Theater für die neueste italienische Megaarchitektur in Berlin überhaupt stattfinden muß — Straße des 17. Juni sperren, Bullencorso und Rambos —, wird sich vielleicht auch Walter Momper gefragt haben, war er doch als großplanender Häuserräumer und Daimler-Spekulant gerade abgewählt worden. Seine Baupolitik mit dem Ökowadenbeißer Nagel ist gescheitert. Jetzt hätte er Einspruch einlegen können. Statt des hoffnungslosen Versuchs, noch den Small talk zu probieren, bei dem ihm keiner mehr zuhörte, hätte er laut »Halt!« rufen müssen. »Damit machen wir Berlin kaputt. Flughäfen und Hochhäuser sind nichts für unsere Stadt. Wohnraum und soziale Architektur sind wichtiger wie Riesentürme.«
Denn während sich die Präsidenten von Weizsäcker und Cossiga im Blitzlichtgewitter tummelten und angesichts der Bauzeichnungen zustimmend »Ah!« und »Autostrada!« und »Nouva realta dell'Europa Unita!« oder »Sistemi avanzati!« (»Herr Bundespräsident«, rief einer, »das bedeutet modernste Techniken.«) machten, kam »Berlino« so gut wie nicht vor. Er stand nur noch im Streulicht. Mompers alter Fehler sei, sagte mir ein Kollege angesichts des einsamen Noch-Regierenden, »daß er seine Sätze immer mit >also< beginnt«. Da bekämen die Gegenüber regelrecht Angst, was denn da »also« bloß alles auf sie zukäme. Das wirke wie ein Schwinger. Außerdem trage er immer unmögliche rote Krawatten, die zum Konfirmantendunkelblau des Anzugs nicht paßten. Zwischen den schnittigen Stöffchen aus Mailand waren die Kassenwartmentalität und der Berliner Schick darum erst recht mehr nicht angesagt. So kommt's, Walter.
Ja, ja. Deutschland und Italien. Seit Goethes Reise in den Süden haben sich die Germanen zu Hunderttausenden aufgemacht, um die Schätze aus Kunstgeschichte und Architektur in Rimini kennenzulernen. Doch heute, so jubelte der TU-Vize Dierks in seiner Rede, »ist Italien zu uns gekommen und serviert gleichsam bezaubernd garniert auf dem Tablett eine großartige Ausstellung, für die die TU-Berlin die schützende Hülle liefert«. Was die Ausstellung angeht, irrt der Vize. Die »fünf Projekte für Europa« sind hauptsächlich schlecht präsentierte Hochglanzfotos inmitten von Superscreens, aus denen es auf englisch herausblubbert. »Was ist das hier eigentlich?« wurde der italienische Botschafter Marcello Guidi gefragt, als er zwischen den Modellen den vorauseilenden Gehorsam markierte. Nix kapische. Vielleicht zogen darum Momper, Cossiga und von Weizsäcker ab? Sie taten gut daran, hörte sich doch ein Gespräch so an: »Hallöchen!« »Hallöchen!« »Na?« (...) »Chio«! »Chio!« »Endlich«, seufzte ein kleiner kommender Baumeister, als er die Schinkenröllchen aus Parma zu Gesicht bekam. »Und der Sekt, mmh!« Früh übt sich... rola
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