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Der Aufstand und die Bilder

Zur Rolle der Medien in Rumänien vor genau einem Jahr  ■ Von Helmuth Frauendorfer

Es war Anfang der achtziger Jahre, als ich mit dem Literaturkritiker und Übersetzer Gerhardt Csejka von dessen Wohnung neben dem Bukarester Hauptbahnhof in Richtung Redaktion der 'Neuen Literatur‘ ging, wo er damals arbeitete. Als wir an der Rundfunkzentrale vorbeikamen, flüsterte er mir zu: „Dieses Gebäude müssen wir als erstes besetzen, wenn wir die Revolution machen. Dies und die Fernsehzentrale.“ Es war ein Spiel, das wir uns in Freundeskreisen öfter ausmalten. Ein Spiel der Ohnmächtigen angesichts bescheidener Mittel und mangelnder Solidarität. Die meisten von uns waren bereits aus dem Land getrieben worden, als dieses Spiel Ernst wurde — vergangenes Jahr im Dezember.

Begonnen hat der Aufstand in Temeswar. Wir, die das Geschehen aus der Ferne beobachteten und über alle möglichen Kanäle Informationen suchten, befürchteten, daß es dem Regime wieder gelingen könnte (wie bereits im November 1987 in Kronstadt/Brasov), die Revolte örtlich einzugrenzen, auf daß der Funke auf andere Landesteile, vor allem auf die Hauptstadt, nicht überspringen könne. In diesem Lande gab es keine Kommunikation. Es ging erstmal darum, Kommunikation herzustellen in einer Situation, in der die aufständische Stadt total isoliert war und jede andere Stadt auch hätte isoliert werden können, auch die Hauptstadt. Und da waren die einzigen funktionierenden übergreifenden, allerdings nur eindimensionalen (weil nur in eine Richtung wirkenden) Mittel die Medien Rundfunk und vor allem Fernsehen.

Über die umstrittene Rolle des Fernsehens während und nach den Dezember-Ereignissen in Rumänien und darüber hinaus ist nun ein Sammelband erschienen, herausgegeben von Andrej Ujica (im deutschen Exil lebender rumänischer Schrifststeller, Literatur- und Medienwissenschaftler) und Hubertus von Amelunxen (Literatur- und Medienwissenschaflter — beide an der Universität Mannheim). Gediegene medientheoretische Aufsätze sind darin enthalten, eine fachorientierte Diskussionsrunde zum Thema „Beziehung zwischen Historie und medientechnischer Simulation“, ausgehend von den rumänischen Ereignissen; außerdem Gespräche, die Ujica mit vier rumänischen Intellektuellen führte.

Eingeleitet wird das Buch von einer Chronologie der Ereignisse, die den Anspruch auf Vollständigkeit gar nicht haben kann, weil zu vieles ungeklärt ist und voraussichtlich auch bleibt — wie auch aus weiteren Berichten hervorgeht.

Von Fälschungen und Manipulation und deren (teilweiser) Aufdeckung im Dienste der (neuen) Macht sowie den sich verselbständigenden elektrotechnischen Medien ist hier die Rede, wobei der theoretische Aspekt in den Diskussionen und in den Aufsätzen meines Erachtens oft zum Selbstzweck wird. „Zum Beispiel ist die Frage“, schreibt Vilém Flusser, „was sich ,wirklich‘ ereignet hat und ereignet, keine gute Frage mehr, weil ,wirklich‘ ist, was im Bild wirkt. Die Bedeutungsvektoren haben sich umgekehrt: Nicht das Bild deutet auf die Welt, sondern die Welt deutet aufs Bild, und daher sind etwa die Leichen in Temeswar ,wirklich‘, wenn und nur wenn sie im Bild sind.“

Die Leichen von Temeswar werden oft erwähnt, aber nur im Zusammenhang mit der medientechnischen Sensationsfunktion. Die Aussage eines Arztes aus Temeswar, die Leichen aus den Massengräbern seien keine Opfer der Revolution, wird als willkommener Beweis betrachtet für die sich verselbständigende Wirkung der Television. Doch von wem diese Aussage stammt und welche Funktion sie haben sollte, wird leider nicht hinterfragt. So kann sich Dr. Milan Dressler von der Temeswarer Gerichtsmedizin, einer keineswegs unabhängigen Institution in einem Polizeistaat, in dem die Securitate selbst heute noch Kontinuität aufweist, die Fernsehdiskussion zunutze machen, um die nun „offizielle“ Variante zu verbreiten. (vgl. dazu auch Herta Müller in der 'Zeit‘ vom 20.7.90)

Es gibt schon eine ganze Menge von Interpretationen und (Pseudo)Theorien zu den Dezember-Ereignissen in Rumänien, vom Putsch bis hin zur KGB-Steuerung, die alle etwas Fragwürdiges und Ungeklärtes beinhalten. Antworten auf solche offenen Fragen habe ich nicht erwartet — sie sind auch nicht zu erwarten, solange die jetzige Regierung dichthält. Doch um so erstaunter war ich, wie leichtfertig diverse Gerüchte aus Rumänien und fragwürdige Informationen in eben dieses Buch als Fakten aufgenommen wurden, in ein Buch, das die (Bild)Fakten eben hinterfragen sollte. Ujica spricht oft von inszenierten Kämpfen, von Spielzeugwaffen, er ist ein Anhänger der „Putschtheorie“. Und diese paßt auch besser in die Diskussion um das Medium Fernsehen. Viel klarer und der Realität (nicht ihren Bildern) näher scheint mir die Auffassung des rumänischen Philosophen Mihai Sora: „Ceausescu fiel, weil die Straße ihn stürzte. Ich will nicht bestreiten, daß es im älteren oder neueren Umkreis der Macht Staatsstreichprojekte gegeben haben mag, doch nicht ein solches Projekt war es, das Ceausescu stürzte, sondern die Explosion der Straße. Jenes Projekt war, sofern es existiert hat, der erste Nutznießer der Umstände.“

Während der Gespräche mit den vier Intellektuellen aus Rumänien taucht (oft nur unterschwellig) häufig die Frage nach der Rolle und der Verantwortung der Intellektuellen während der Ceausescu-Diktatur auf. Die jahre- oder jahrzehntelange (Selbst)Isolation, die „intellektuelle Verweigerung“, das Leben im Rückzug haben sie aktions- und reaktionsunfähig gemacht. Serban Foarta zum Beispiel kam während der Temeswar-Ereignisse aus der Rolle des Beobachters nicht heraus, und Andrei Plesus Schuldgefühl wurde verstärkt angesichts des Ceausescu-Ehepaares auf der Anklagebank: „Wir haben uns all die lange Zeit hindurch von zwei armseligen Despoten, zwei sehr kleinen Kleinbürgern tyrannisieren lassen.“ Das Fernsehen, das den Diktator bisher mythisiert hatte, dasselbe Fernsehen hat ihn nun auch entmythisiert. Und es wurde auch bald nach seiner „revolutionären“ Rolle umfunktionalisiert, „als Stütze der neuen Macht zu fungieren und der Aufrechterhaltung der alten Strukturen zu dienen“ (Livius Ciocirlie).

Es ist ein lesenswertes Buch über die Macht der Bilder, das jeder Person zu empfehlen ist, die sich abends (oder beim Frühstücksfernsehen) die Nachrichten per Kabel oder Antenne „reinzieht“, ein Buch, das Analysen liefert sowohl von der Rolle des Bildes als auch beispielsweise von Revolutionsmodellen im Kontext ihrer Rezeption.

Und dennoch, auf Rumänien bezogen scheint mir so manche medienwissenschaftliche Interpretation viel zu komplex und kompliziert, als daß sie zutreffend sein könnte. Einerseits hatten die im Dezember 1989 Agierenden und auch medienpolitisch Agierenden für so weitgefächerte Überlegungen von Darstellung und Wirkung gewiß keine Zeit — und zum anderen würde ich ihnen die (hier von so manchem Autor hineininterpretierte) Fachkompetenz nicht unterstellen.

Und noch etwas: Beim Lesen der medientheoretischen Aufsätze und Diskussionsbeiträge der Wissenschaftler blieb mir ein bitterer Geschmack im Mund. Ich mußte feststellen, daß die rumänischen Ereignisse, die vor einem Jahr — wie selbst die Autoren den Vorwurf erheben — von den Medien zu ihren „Objekten“ degradiert wurden, auch hier streckenweise den Wissenschaftlern nicht mehr bedeuten als Objekte für ihre Übungen und Experimente, für das Überprüfen ihrer Theorien. Die Macht der Diktatur, die Macht der Television, dazwischen die Ohnmacht der Menschen. Aber vielleicht kann nur ich das nicht verstehen, weil ich kein Wissenschaftler bin.

Hubertus von Amelunxen, Andrei Ujica (Hg.): Television/Revolution · Das Ultimatum des Bildes · Rumänien im Dezember 1989. Jonas Verlag, 156 S., 38 DM.

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