: Am Jahrestag sucht Iliescu den Dialog
Liberale und Intellektuelle sprechen vor/ Gewerkschaftsverband hat Generalstreik verschoben ■ Aus Bukarest William Totok
Vor der amerikanischen Botschaft in Bukarest sitzt ein Mann. Er befindet sich seit zehn Tagen im Hungerstreik. Auf die Frage, was er eigentlich fordert, zuckt er nur müde mit den Achseln. „Ich bin gegen den Kommunismus, gegen Iliescu, und die Amerikaner sollen dies zur Kenntnis nehmen“, fügt er nach einer Weile hinzu. Auch ein Jahr nach dem blutigen Umsturz haben sich die Rumänen nicht beruhigt. Ceausescu ist weg, aber das Gespenst des Kommunismus scheint noch nicht gebannt zu sein. „Nieder mit Iliescu“. „Nieder mit dem Kommunismus“, sind nach wie vor die beliebtesten Losungen, wie auch jetzt bei den Studenten und Arbeitern, die in Temeswar seit einer Woche einen Generalstreik ausgerufen haben.
Die Temeswarer Streikbewegung löste jedoch nicht die erwartete Breitenwirkung aus, vor allem deshalb nicht, weil die „Nationalliberale Partei“ mit dem Präsidenten Iliescu vorsichtige Gespräche begonnen hat. Es geht um eine Beteiligung an einer Koalitionsregierung mit der regierenden „Front zur nationalen Rettung“. Andererseits versuchten die Parteien, die sich vor kurzem im „Nationalkonvent“ zusammengeschlossen haben, die Zaranisten (Bauernpartei), Sozialdemokraten, Liberalen, die beiden Umweltparteien und die ungarische Vereinigung die Regierung unter Druck zu setzen, indem sie ein ultimatives Grundsatzpapier veröffentlichten. Unter dem steht auch die Unterschrift des mit 1,5 Millionen Mitgliedern recht starken Gewerkschaftskartells „Alpha“. Im Nachhinein stellte sich aber heraus, daß die Gewerkschaft die geplante Palastrevolution der Oppositionsparteien gar nicht mitzutragen gewillt ist. In einem offiziellen Kommuniqué sah sich nun der „Nationalkonvent“ der Oppositionsparteien gezwungen, verschämt einen Rückzieher zu machen und zu gestehen, daß das „Gewerkschaftskartell 'Alpha‘ dem Nationalkonvent weder angehört, noch die Schlußakte mitunterzeichnet habe“.
Dan Mocanescu, ein Vertreter der Gewerkschaft, bezeichnete diesen Vorgang als ungeheuerlichen Versuch der Oppositionsparteien, die Gewerkschaften für ihre Zwecke zu mißbrauchen. Der für den 19. Dezember anberaumte Generalstreik mußte verschoben werden. Der 8 Punkte umfassende Forderungskatalog der Gewerkschaft „Alpha“ jedoch, so Mocanescu gegenüber der taz, bleibt nach wie vor aktuell. Auch der Gneralstreik ist nicht aufgehoben sondern nur aufgeschoben. Die Gewerkschafter fordern seitens der Regierung eine wahrheitsgemäße Darlegung der wirtschaftlichen Situation des Landes, die Rücknahme der „Preisliberalisierung“, die Durchsetzung des sogenannten Wirtschaftsprojekts „Cojocaru“ (das einen „Ausverkauf“ Rumäniens verhindern soll), die Revidierung sämtlicher antigewerkschaftlicher Maßnahmen und Gesetze, die Einstellung der Entlassenen, die Veröffentlichung der Ergebnisse der parlamentarischen Untersuchungskommission betreffend die Ereignisse vom 13. bis 15. Juni (als Iliescu mit Hilfe von Bergarbeitern und Securitateleuten die Protestdemonstration auf dem Bukarester Universitätsplatz auflöste), die Entlassung sämtlicher Angehöriger der Nomenklatura aus wichtigen Ämtern sowie die Unterstützung der Forderungen der freien Gewerkschaft des rumänischen Fernsehens. Deren Vorsitzende, Dumitru Iuga, hat nach 20 Tagen allerdings seinen Hungerstreik abgebrochen, nachdem am Freitag abend der Rücktritt der politisch kompromittierten Leitung des Fernsehens bekanntgegeben wurde.
Angesichts dieser Krisensituation und der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung — es soll sogar in manchen Städten zu Demonstrationen mit Ceausescu-Porträts gekommen sein —, signalisierte Präsident Iliescu die Bereitschaft zum Dialog mit weiteren Vertretern der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition. Am Mittwoch kam es zu einer ersten Gesprächsrunde zwischen den Delegierten der „Bürgerallianz“, eines Zusammenschlusses von Intelektuellengruppen, die am letzen Wochenende in ihrer „Charta“ den Rücktritt der Regierung, vorgezogene Wahlen und eine Volksbefragung über die Staatsform (Republik oder Monarchie) verlangt hatte. Der Literaturkritiker und Vertreter der „Bürgerallianz“, Nicolae Manolescu, bezeichnete gegnüber der taz den Verlauf der Gespräche mit Iliescu als „positiv“, hob aber hervor, keiner der Gesprächsteilnehmer habe eine Teilnahme an einer zukünftigen Regierung gefordert.
Doch noch haben diese Gepräche die Atmosshäre nicht entkrampft. In Temeswar wurde der Vizevorsitzende der Front, Claudiu Iordache, am Donnerstag von aufgebrachten Demonstranten gehindert, eine Ansprache zu halten. Iordache legte daraufhin sein Parlamentsmandat nieder. In einer feierlichen Parlamentssitzung anläßlich des Jahrestages der Revolution rief Iliescu am Freitag die Nation noch einmal zu Toleranz auf und wies jegliche Kritik an der Regierung zurück. Den vor einem Jahr stattgefundene Aufstand bezeichnete er als Resultat einer spontanen Reaktion auf die Diktatur und nicht als Ergebnis eines Staatsstreiches. Er wies die Vorwürfe als unhaltbar zurück.
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