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Nadelstiche bei der Post

■ 3.000 PostlerInnen in Ostdeutschland im Warnstreik

Berlin (dpa) — Die rund 100 Beschäftigten im Hauptpostamt am Ostberliner Alexanderplatz hatten ihren Streikbeginn genau kalkuliert. Denn genau zum Streikbeginn gestern morgen um 9 Uhr hatte die Telekom das erste Kartentelefon in der ehemaligen DDR einweihen wollen. Die Streikenden stahlen der Telekom die Schau und die Bevölkerung in den neuen Ländern fürchtet um ihre Weihnachtspost, weil die Bundespost sich in den Verhandlungen nach Angaben der Postgewerkschaft geweigert hatte, eine am 11. Dezember gegebene Zusage über die Zahlung einer einmaligen Ausgleichzahlung in Höhe eines Bruttomonatsgehalts zu zahlen. Durch diese Einmalzahlung sollten die finanziellen Mehrbelastungen dieses Jahres für die Arbeitnehmer in den neuen Ländern ausgeglichen werden.

Um 11 Uhr legten auch die SchalterbeamtInnen in den Hauptpostämtern Dresden, Jena und Rehbrügge in Brandenburg für eineinhalb Stunden die Arbeit nieder. Zugleich lief auch im Post- und Fernmeldeamt Erfurt nichts mehr. Auch in Rostock und Magdeburg kam es zu Warnstreikaktionen. Nur der Paketdienst wurde in einigen Städten von den Aktionen ausgenommen. Der Vorsitzende der Postgewerkschaft, Kurt van Haaren, sprach in Frankfurt von einem „unendschuldbaren und beispiellosen Wortbruch“ des Arbeitgebers. Die Postgewerkschaft vermutet, daß die Postmanager durch eine Weisung des Bundesinnenministers von ihrer Zusage abgebracht wurden. Das für Tarifpolitik zuständige Vorstandsmitglied der Postgewerkschaft, Ewald Wehner, schloß nicht aus, daß es im neuen Jahr zur Urabstimmung unter den ostdeutschen Mitgliedern, der Postgewerkschaft kommen werde „und wir dann in allen neuen Bundesländern streiken“.

Die Arbeitgeber teilten mit, es sei bereits Einigkeit über die Verkürzung der Arbeitszeit von 43,5 auf 40 Stunden ab 1. 4. 91 erzielt worden. Die übrigen Vorschriften zur Anrechnung der Pausen auf die Arbeitszeit und die Überstunden würden den westdeutschen Regelungen angeglichen. Außerdem werde der überwiegende Teil der Ostpostler mehr Urlaub erhalten als bisher.

Der Gewerkschaft reichen diese Zugeständnisse nicht. Sie stehen unter dem Druck, die Teuerung der letzten Monate auszugleichen und möglichst schnell eine Annäherung an die Westlöhne zu erreichen. Für alle Folgen der Streikaktionen ausgerechnet unmittelbar vor Weihnachten, so heißt es in den Erklärungen der Gewerkschaft, trügen die Arbeitgeber die Verantwortung. Folgen für den Brief- und Telefonverkehr in West-Berlin und Westdeutschland schloß die Gewerkschaft aus.

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