: Wenn der Affe seinen Kopf hinhält
■ Tierschützern wird Zutritt zum Physiologischen Institut verwehrt/ Behörde: Versuche »vorbildlich«
Berlin. Stellen Sie sich vor, Sie sollen anhand von Fotos entscheiden, ob Sie das darauf abgebildete Gesicht schon einmal gesehen haben. Möglicherweise handelt es sich um Urlaubsbilder, oder Sie sollen einen Mann erkennen, der in Ihrer Gegenwart eine Bank ausgeraubt hat. Bevor Sie die Bilder sehen, passiert folgendes: In Ihren Schädel wurden zuvor 12 Elektroden und 12 Steckkontakte implantiert, und damit Sie Ihren Kopf nicht allzuviel bewegen — die Kontakte könnten verrutschen — wurde mit Hilfe von im Schädel eingeführten Schrauben eine Halterung angebracht. Festgezurrt auf einem Stuhl, haben Sie seit geraumer Zeit nichts mehr zu essen bekommen — doch nur bei der richtigen Antwort, ja oder nein, erhalten Sie ein Stück Brot oder Kuchen.
Schwer vorstellbar? Bei Menschen würde man solche Experimente wohl auch kaum durchführen. Niedriger liegt da die Toleranzschwelle schon bei den angeblich so menschenähnlichen Affen. Durchgeführt werden diese Versuchsmethoden von Professor Grüsser mit Javaaffen am Physiologischen Institut in der Dahlemer Arnimallee. Sinn und Zweck der Übung oder, wie es im Fachjargon heißt, Grundlagenforschung: In den Versuchen soll herausgefunden werden, welche Region des Gehirns die Signale verarbeitet, die sich auf die Erkenntnis von Gesichtern und mimischen Ausdrucksbewegungen beziehen.
Bereits im September wandten sich Berliner TierschützerInnen, unter ihnen Christiane Bernhardt vom »Arbeitskreis Tierschutz«, in einem offenen Brief an den FU-Präsidenten Heckelmann, um gegen derart »grausame Versuche« zu protestieren. Schon allein die Einzelhaltung der geselligen Tiere sei ausgesprochen tierfeindlich. Die Tierexperimentatoren müßten sich Fragen nach Sinn und Unsinn ihrer Versuche gefallen lassen — doch obwohl hier öffentliche Mittel von erheblichem Umfang beansprucht würden, habe ihnen der Professor den Zugang zu seinen Labors verweigert. Und die von den TierschützerInnen telefonisch angesprochene FU-Vizepräsidentin Guggenmoos-Holzmann sähe in diesem Fall keine Weisungsmöglichkeit.
Statt dessen teilte eben diese Vizepräsidentin den TierschützerInnen Ende November in einem Antwortschreiben mit, daß die beteiligten Wissenschaftler über offensichtlich bewußte Falschdarstellungen von TierschützerInnen nach früheren Besuchen so aufgebracht seien, daß der weitere Zugang zu Tierhaltung und Versuchsräumen verweigert würde. Die Versuche würden jedoch unter strikter Beachtung der Bestimmungen des Tierschutzgesetzes durchgeführt und die Tierhaltung von seiten der zuständigen Behörde (Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, d. Red.) als »vorbildlich« bezeichnet. Darüber hinaus bemühten sich die Freie Universtät und Senatsverwaltung intensiv um die Förderung versuchstierfreier Forschung, die Anzahl der Versuchstiere sei in der letzten Zeit bereits drastisch reduziert worden.
Die TierschützerInnen weisen jegliche Falschdarstellung in der Öffentlichkeit vehement zurück. Ihnen sei sehr wohl bekannt, heißt es in einem Antwortbrief an die FU, daß die Senatsverwaltung Tierversuchsvorhaben reduzieren will — bei der FU jedoch seien sie sich nicht so sicher. Schließlich wollten sie nichts weiter, als sich davon, einschließlich der Experimente von Professor Grüsser, mit eigenen Augen zu überzeugen.
Gegen dessen Experiment sprechen nach bisherigen Kenntnissen der TierschützerInnen übrigens nicht nur ethische, sondern auch wissenschaftliche Einwände. Denn es sei keineswegs gesichert, daß Affen ein ähnliches Differenzierungsvermögen besitzen wie der Mensch. Selbst wenn sie es hätten, sei das Wahrnehmungsraster viel zu grob, auch Menschen wüßten oftmals nicht, ob sie jemanden schon einmal gesehen hätten oder nicht. Da liegt dann wohl der Gedanke nahe, daß man solch eine quälende Prozedur, deren Zweck von vornherein fraglich ist, tatsächlich beiden — Mensch und Tier — ersparen sollte. maz
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