: Dittmeyers Fernsehjahr
■ Ein persönlicher Jahresrückblick, alphabetisch geordnet und wegsortiert
Aerobics — Diese wunderbare Sendung gibt's täglich zum Sendeschluß von RTL plus. Leider kann Dittmeyer nie mitturnen, denn die Wände seiner Behausung (asozialer Wohnungsbau) sind so hellhörig, als daß schon nach dem ersten Purzelbaum spornstreichs, stracks und stante pede die nachbarlichen Frühaufsteher vor der Türe stünden. Aber allein der Anblick des Muskelspiels wohlgestalteter amerikanischer Paradekörper und der Vergleich mit der einmaligen Charakteristik der infolge planmäßiger Zuführung urgesunder Hopfen- und Malzpräparate zum athletischen Umriß aufgebauten, eminent furchteinflößenden eigenen Statur hat schon einen gewissen Reiz.
Bambi — Vom Verlagshaus Burda gestifteter Preis für unsere Fernsehlieblinge. Bekam in diesem Jahr jeder, der die Worte „Deutsche Einheit“ dreimal hintereinander fehlerlos aufsagen konnte.
Catch up — Die beste Sportsendung im deutschsprachigen Fernsehen. „Kampfhahn“ Horst Brack alias „Der Bestrafer“ hat anscheinend einen Rochus auf alles, was sich bewegt, bezieht aber nicht selten selber Dresche, meist verbal, mitunter aber auch handgreiflich. Sein Kollege Joe Williams mimt den seriösen Sportreporter US- amerikanischer Herkunft, hängt anachronistischen Fair-Play-Idealen nach und kommentiert auch die fünfte Zeitlupenwiederholung noch mit vor Erregung überschnappender Stimme. Wer die Sendung ernst nimmt, darf sich nicht wundern, wenn ihn seine Mitmenschen mitleidig belächeln.
Dall-As — Karl Dall zeigte im vergangenen Jahr gelegentlich Formschwächen, kratzte aber mit der massiven Werbung zugunsten der SPD am Vorwahlabend an einem bislang als unantastbar geltenden Tabu. Nicht der SPD, sondern rein des Tabubruchs wegen gebührt ihm ein Ehrenplatz in diesem Jahresrückblick.
Elstner, Frank — Warf das Handtuch, nachdem ihn alle im Regen stehen ließen und zog sich betröppelt zurück. Womit sich hoffentlich auch die unsäglichen Wortspiele um Nase vorn wie „Nase voll“ etc. endgültig erledigt haben.
Fernsehzeitschriften — Sind mitunter echte Witzblätter. Der 'Gong‘ zum Beispiel. Dort findet man Sentenzen wie die folgende: „Eine Handvoll Staub basiert auf dem Roman von Evelyn Waugh. Schon einmal hatte Regisseur Sturridge einen Stoff dieser Autorin verfilmt“ (Gabriele Pössinger am 14. Dezember im „tip der redaktion“). Ja, die gute alte Evelyn. War sie nicht zeitweise mit dem Schriftstellerkollegen George Sand liiert oder wie oder was?
Gottschalk — Die bürgerlichen Blätter verreißen ihn, die taz lobt, und Gottschalk-Produzent Holm Dressler steckt in der Sinnkrise, weil er denkt, er habe etwas falsch gemacht. Dittmeyer meint: Jeder Ansatz, ein bißchen frischen Wind in die verstaubten Kulissen deutscher Fernsehshows zu bringen, muß ohne Ansehen der Person unnachsichtig gelobt werden.
Heiter weiter — Hieß die Nachfolgesendung für Was bin ich?, das legendäre „Heitere Beruferaten“ des unvergessenen Robert Lembke. („Welches Schweinderl hätten'S gern?“ — „Das, welches Konstantin Wecker gebissen hat.“) War aber nix mit Heiter weiter; die auf liebenswerte Weise altmodische, unaufwendige und vergleichsweise gemütliche Show ging heiter unter. Künftig gibt es folglich noch Glücksrad, Sterntaler, Der Preis ist heiß und artverwandte Krawallshows der Sparte „elektronische Kandidatenverarbeitung“.
Inserts — Aus der Reihe „Was uns sonst noch auffiel“: Wieso eigentlich fügen die Privatfernsehfritzen ihre Werbeeinblendungen bei US-amerikanischen Serienfolgen nicht da ein, wo deren Regisseure das vorgesehen haben, sondern hacken vielmehr dummdreist und tölpelhaft immer mitten 'rein in die Handlung? [...die meistens ohnehin keine ist, findet d. s-in]
Juhnke, Harald — Ist der beste Interpret von Harald-Juhnke- Witzen, neigt aber in Talkshows zu unüberlegt-vorlautem Schwafeleinsatz mit dröhnender Peinlichkeitsattitüde. Gefallen hat Dittmeyer, wie Juhnke in einem Interview den Kollegen Fuchsberger anrüpelte. Der hat's verdient.
Kulis Buchclub — Auch eine lebende Legende wie Kuli mußte zur Kenntnis nehmen, daß bei den Privaten Überzieher nicht gefragt sind. Dort trägt man modisches, aber straff sitzendes Korsett. Außer: Es gibt Tennis. Dann bricht Anarchie aus im Programmablauf, und Tennishasser Dittmeyer wartet vergebens auf seine Lieblingssendungen.
Leo's — Steht ganz oben in Dittmeyers Jahresbestenliste, und ist damit „Mega-In“!! Und das Erstaunlichste: Die Sendung kommt vom Bayerischen Rundfunk. Oh là là.
Marquis, Arnold — Mit dem letzten knorrigen Helden verschwand auch dieser einmalige Synchronsprecher, der jahrelang verwitterten Originalen wie John Wayne oder Richard Widmark seine Stimme geliehen hatte. Auch in Fernsehproduktionen war sein markantes Organ zu hören. So dolmetschte er Jack Klugman in der herrlichen Serie Männerwirtschaft. Das ZDF sollte etwas Gutes tun und ein paar Staffeln wiederholen — in memoriam Arnold Marquis. Auf jeden Fall werden wir den markigen Marquis schmerzlich vermissen.
Nummer 6 — Die surrealistische Handlung und die psychedelische Gestaltung machten diese britische Serie aus dem Jahr 1967 zu einem Kultobjekt. Noch immer treffen sich alljährlich alte und neue Fans in jenem idyllischen Küstenort in Wales, der die natürlichen Kulissen lieferte für Patrick McGoohans vergebliche Fluchtversuche. Pro 7 hat den Klassiker seit einigen Monaten wieder im Programm. Lobenswert.
Ostfernsehen — Ist irgendwo in den Kabelkanälen versickert, weil es nach Meinung der Westfernsehmacher nichts zu bieten hatte. Ha! Sendungen wie Heinz Meynhardt: Mein Leben unter Wildschweinen (DDR 2, 1988) fesselten allemal mehr als die schnöden und völlig witzlosen, noch dazu von Heinz Sielmann nasal nuschelnd kommentierten Expeditionen ins Tierreich!
Paola — Trat auf dem Höhepunkt ihrer Karriere als Showmasterin ab. Ihr Publikum soll sie so in Erinnerung behalten, wie sie jahrelang in der Sendung Verstehen Sie Spaß? zu sehen war: Alterslos, hübsch geschminkt und immer ein debiles Lächeln auf den wie inwendig festgeklammerten Lippen.
Quatsch — ...und Dollerei sind vornehmlicher Inhalt der unglaublich albernen Sendung Alles nichts oder?!, deren Spielprinzip mit „Kindergeburtstag für Erwachsene“ zureichend umschrieben ist. Co-Moderatorin Hella von Sinnen, nicht nur als erste bekennend lesbische Showmasterin Deutschlands eine Ausnahmeerscheinung, droht seit längerem mit einer eigenen Sendung, nämlich W — Weibermagazin. Hoffentlich wird das bald mal was, Hella!
Roxy — War eine an den jungen Erwachsenen gerichtete, sehr gute Sendung auf West 3, wurde aber, wie die meisten guten Sendungen nicht alt.
Stern TV — Es gibt tatsächlich Kritiker, die Moderator Günter Jauch, Inbegriff des verständnisinnigen Gesprächspartners mit Muttersöhnchenappeal und Kreditberaternimbus, vorwerfen, seine Interviewpartner zu respektlos zu behandeln. Ach Jottchen.
Toupetträger — Die Namen der drei peinlichsten Toupetträger des deutschen Fernsehens: Armin Halle, Heino und Larry Hagmann. Nachrücker: William Shatner in der Rolle des T.J. Hooker und Freddy Quinn als er selbst.
Untersatz — Visionär war Loriots seinerzeitige Idee, eine Chaiselongue in die Dekoration zu stellen. Mittlerweile müssen die Sitzmöbel schon als Namensgeber herhalten: Sendungen wie Kanapee und Die rote Couch gaben in diesem Jahr ihren Einstand. Das Sofa ist eben das Fernsehmöbel schlechthin; nicht umsonst nennen sich die TV- Junkies stolz „Couchpotatos“.
Volksmusik — Waberte in diesem Jahr omnipräsenter denn je. Wandelnde Hormonskandale wie die Wildecker Herzbuben, die Kastelruther Dreckspatzen oder das Original Napalm Duo grinsten schon beinahe täglich aus der Röhre, und mittendrin tummelten sich Ramona Leiß, Karl Moik und Carolin Reiber selbstdritt. Ein Ende der blasmusikalischen Schreckensherrschaft ist nicht abzusehen.
Wörthersee, Ein Schloß am — Die Kinoproduzenten rächen sich jetzt für den Niedergang des deutschen Films, indem sie alte Drehbücher zu Fernsehserien aufbereiten. Das kann noch heiter werden.
X — Dreißig Prozent plus X sind zwar ein schlechtes Wahlergebnis, aber eine gute Einschaltquote. Oskar Lafontaine sollte mal eine Karriere als Showmaster in Erwägung ziehen. Ob FDP oder Grüne die Assistentin stellen dürfen, ist dann nur noch eine Frage der Koalitionsverhandlungen...
Zahnlos — ...und ohne Witz sind die meisten deutschsprachigen Talkshows. Man muß ja nicht gleich ins gegenteilige Extrem fallen wie Axel Thorer, in dessen Sendung A.T. — Die andere Talkshow alles durcheinanderbrüllte. Kriegt man eigentlich Ärger mit dem Tierschutzverein, dem Gewerbeaufsichtsamt oder der Stiftung Warentest, wenn man Prominenten fragetechnisch auf die Pelle rückt?
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