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Sehr umstritten-betr.: "Afrika wird vergessen" von Karlheinz Böhm, taz vom 20.12.90

betr.: „Afrika wird vergessen“ von Karlheinz Böhm,

taz vom 20.12.90

[...] Die von Karlheinz Böhm geleitete Organisation „Menschen für Menschen“ ist in der Dritte-Welt- Szene — freundlich ausgedrückt — sehr umstritten. In seinem Artikel zeigt er nicht die Bereitschaft, die Probleme der Region, in der er tätig ist, zu analysieren oder wenigstens zu verstehen.

Wie schon in früheren Spendenaufrufen nennt er Eritrea eine äthiopische Nordprovinz. Dabei wehrt sich dieses Land seit Jahrzehnten gegen die Vereinnahmung und befindet sich im Krieg mit der Zentralregierung. Das Ziel des Kampfes ist es, die Menschen über den Status Eritreas —Unabhängigkeit von Äthiopien oder teilautonomes Gebiet — unter internationaler Aufsicht abstimmen zu lassen.

Das gewaltsame Umsiedlungs- und Verdorfungsprogramm ist die Ursache des Bürgerkrieges, den die Völker des eigentlichen Äthiopien gegen ihre Regierung führen. Ohne Rücksicht auf die vielfältigen Erfahrungen in der Landwirtschaft und im Überleben in Dürregebieten und unter Mißachtung ihres eigenen Willens werden die Menschen vom Norden in den Süden verfrachtet, aus ländlichen Streusiedlungen vertrieben und in großen Staatsdörfern angesiedelt.

„Menschen für Menschen“ unterstützt indirekt diese Zwangsmaßnahmen, indem es durch Spenden finanzierte Musterdörfer anlegt und bei der Neuansiedlung verschiedene Hilfen bietet. Damit wird klassische „Entwicklungshilfe“ geleistet, deren Konzept längst überholt ist und die sich in einem diktatorisch regierten Land eigentlich verbietet. In seinem Artikel erweckt Karlheinz Böhm allerdings den Eindruck, als rufe er zur Nothilfe oder Katastrophenhilfe für die Menschen Äthiopiens auf, die vom Hungertod bedroht sind und denen unmittelbar geholfen werden muß. Er erwähnt aber nicht, daß weite Teile des Landes inzwischen von den Befreiungsbewegungen kontrolliert werden. Diese haben ihre eigenen Hilfsorganisationen mit Büros in der BRD und anderen Ländern, und sie haben gezeigt, daß sie die Menschen in den von ihnen beherrschten Gebieten und in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer mit Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern versorgen können. Von „Menschen für Menschen“ erhalten sie aber nichts. Jörg-Schulz-Trieglaff,

Hannover

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