: Keine Stunde der Exekutive
■ Das Parlament muß über die Verlegung von Luftwaffeneinheiten in die Türkei entscheiden
Was formalrechtlich zulässig wäre, ist die eine, was in einer parlamentarischen Demokratie in einer so existentiellen Angelegenheit wie der direkten Beteiligung an einem Krieg politisch opportun ist, die andere und wichtigere Frage. Aber selbst juristisch liegt der Verfassungsrechtler und Ex-Bundesverteidigungsminister Scholz (CDU) falsch: Nicht nur der Einsatz der Bundeswehr bei einem Angriff auf das Bundesgebiet erfordert laut Artikel 115a Absatz 1 des Grundgesetzes die vorherige Feststellung des Verteidigungsfalles durch eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages.
Der in Artikel 5 des Nato-Vertrages geregelte Einsatz deutscher Soldaten in der Türkei oder anderen Mitgliedstaaten der Allianz bedarf derselben Voraussetzung — da haben die beiden SPD-Politiker Wieczorek-Zeul und Scheer völlig recht. Entscheidende Vorstufe für den Einsatz — und damit ebenfalls zustimmungspflichtig — ist bereits die Unterstellung nationaler Verbände unter ein operationales Oberkommando der Nato. Da der deutsche Nato-Beitritt erst sechs Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes erfolgte, ist dieser „Beistandsfall im Bündnis“ nur nicht explizit erwähnt in der Verfassung. Doch Artikel 11 des Nato-Vertrages schreibt ausdrücklich vor, daß der Vertrag von den Mitgliedsländern „in Übereinstimmung mit ihren verfassungsmäßigen Verfahren in seinen Bestimmungen durchzuführen ist“. Das heißt, bei einem Angriff auf ein Nato-Mitgliedsland müßte jeder Bündnispartner nach seiner Verfassung feststellen, ob der „Beistandsfall“ anerkannt wird und ein Kriegseintritt erfolgen soll. Wobei — das wird im Nato-Vertrag offengelassen — der Beistand auch nichtmilitärischer Natur sein kann.
Ein US-Senatsbeschluß machte im Jahre 1949 den Artikel 11 zur Bedingung für die Ratifizierung des Nato-Vertrages durch die USA. Er sollte — ähnlich wie der nach der Vietnamkriegserfahrung vom US-Kongreß durchgesetzte „War Powers Act“ — verhindern, daß ein Land allein auf Grund von Regierungsentscheidungen und unter Mißachtung des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsvorrangs in einen Krieg hineingezogen würde.
Aus eben dieser Sorge heraus ist die Forderung nach einer Debatte und Entscheidung des Bundestages jetzt, und zwar bereits vor der Entsendung deutscher Luftwaffeneinheiten in die Türkei politisch richtig — auch wenn die Bundesregierung formal zur Verlegung von militärischen Verbänden innerhalb des Nato-Gebietes ohne Parlamentszustimmung berechtigt ist. Doch sind deutsche Luftwaffenverbände als Teil eines multinationalen Nato-Verbands erst einmal in der Türkei und hat ein heißer Krieg am Golf begonnen, dürfte das Parlament in dieser Frage kaum mehr handlungsfähig sein. Andreas Zumach
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