: Ochsens Abenteuer: Zweite Lieferung
■ "So zu schauen wie ich, ist leicht": wahre und umso kürzere Erzählungen, gefertigt von Gerhard Ochs, hiermit erstmals veröffentlicht
Drei weitere schönste Geschichten vom bremischen Kürzestschreiber, Wortmetzen und Satzbausparer Gerhard Ochs:
Max Schautzer glaubt wegen Dagmar Berghoff an die Hoffnung
Dagmars Geburt ist gerecht. Nichts anerlebt, alles echt. Über jede Unze Wahrheit, die sie findet, schmunzelt sie. Ja, sie geht umher im Menschenland. Wo die Sonne sich wiegt im Scheinen, dort ist sie nicht weit. Sie ist sauber wie eine gewaschene Welt. Sie ist einfach ganz bei sich wie eine Tote. Ihr Leib drängt förmlich zum Gesang. Wie ein Anhauch Gottes. Dann hat sie Max getroffen. Der besiegelt gleich den jungen Bund mit seinem Mund und röchelt: KEINER IST DEIN FEIND MEHR, KLEINES! DEINE ZÄHREN SIND AUSGEWEINT! ICH BAUE DIR EIN KRAFTWERK IN MÄHREN! Und Dagmar, die den Wert schöner Worte schätzt, ächzt.
Kennen Sie Bremen zum Beispiel?
Bremen ist ein Ort im All. Dort scheint die Sonne wie ein Wasserfall. Seine Bewohner sind Paare. Sie sind einander zugetan und teilen Küsse aus. Am Mittag blühen vielfach die Sekunden, und in den Platanen findet die Muße statt. Die reichlichen Vögel bringen ihre Flügel auf Glanz und singen dabei. Diese Stadt ist voller Lebenshauch. Die atmende See ihres Aussehens jedoch ist von überraschender Stille. In dieser Stadt, sagt man, werde jeder gerettet und keiner verdammt. Bilden sich doch einmal Pfützen von Tränen, sind sie augenblicklich zugefroren. Eine Gunst, aber vorbehalten dem freien Büger der Hanse. Gefangene von außerhalb werden ohne Ansehen der Person entweder vorerst getötet oder aufbewahrt. Nun zu den Fakten. Hungersnot gibt es hier nicht. Immer ist ein Huhn im Topf. Die Menschen, woanders gramgestillt, entbehren nicht das geringste. In den vielen Pausen, die geboten sind, gedeiht Flieder. An Feiertagen wandern die Frauen in den tiefen Tann. Die Blässe ihres Knochenbaus ist stadtbekannt. Importartikel ist der Rettich. Diese Stadt ist unbesiegbar. Es ist der Duft der Koniferen und der Ruf der Farben. Alle sind friedfertig. Keiner zwingt den anderen in die Knie. Keiner bietet sich dem Tod an und sucht sein Heil in der Flucht. Zum Schluß eine Anekdote. Ein Fremder kam in die Stadt. Ich erschrak. Es waren seine Augen. Eine Schnellstraße sah ich, die auf einen Abgrund zu führt. Zwei Tage, und er war lammfromm geworden, und einen gleichwertigen Gegner fand er nirgendwo mehr.
Ein Heiliger befaßt sich mit seinem Leib
Ich bin amtlich erzeugt. So zu schauen wie ich, ist leicht. Doch ich habe keinen Deut Verständnis, wenn ich sehe, jemand schaut wie ich. Auch das noch. Ich stecke mit den Hackenspitzen in einem Butterbatzen. Ich rufe besser nicht nach einem Helfer. Der verlangt einen Dank und lädt mich ein zum Schein in sein Haus. Wahrscheinlich soll ich seine kleine Mauer vor dem Haus überspringen. Aber ich weiß, was mit Remus geschen ist! Mit einem Ruck bin ich befreit. Kalte Luft streicht mir über die nackten Zehen. Den Plan, die Ferne zu erforschen, muß ich fallenlassen. Es herrscht eine eisige Atmosphäre. Ein warmer, kurzer Wind kriecht weniger als drei Meter und gibt auf. Aber auch der Mensch ist nur aus Blumen gemacht. Ein Tagfalter torkelt herein in meine Schmerzen. Trotzdem immer wieder Frühstück, und ich kümmere mich danach um die Getreideversorgung. Andere, höre ich, tragen schwer daran, ich nicht. Ich kritzele meine Hiebe. Doch zurück. Nach der Mittagspause reise ich meist durch die Provinz. Wenn ich nicht mit ihrem Statthalter verabredet bin, sehe ich mich um. Ich sehe, über dem Horizont befindet sich ein Punkt. Aus der Nähe betrachtet, entpuppt er sich als Neuland. Das kostete vergangen viele Tränen, nach ihm zu suchen. Ich habe jetzt endlich die Möglichkeit, mit einem Sprung in Fluß- oder Meereswasser meine Mähnensträhnen der Farbe der Ehre anzugleichen. Und, weil ich es gewohnt bin, selbst Geiseln anzunehmen, und nicht, Geiseln zu stellen, bin ich sicher, das Vorhaben wird gelingen. Hinzu kommt, ich bin lebensmunter. Ultrarot sind meine Wangen, mein Haar im Nacken ist zünftig frisiert. Es ist einfach schön, mit einem solchen Aussehen für andere duchs Feuer zu gehen. Nur wenige vergessen niemals ein erlittenes Unrecht. Deren Liebe kann ich nicht erreichen. So wie oft ein Hügel quer zur Landschaft steht, und ich komme nicht dahinter mit meinem Tatendrang.
Gerhard Ochs
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