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Fortschritt auf der Überholspur

In den großen amerikanischen Archiven ist zur Zeit die Hölle los: Die Daten der Volkszählungen von 1960, 1970 und 1980 sind zwar noch vorhanden, aber niemand kann sie mehr benutzen, weil es keine Möglichkeit gibt, sie zu lesen. Auch die größte Datensammlung über die US- Teilnahme am Zweiten Weltkrieg ist gerade nicht entzifferbar. Es gibt keine Maschine mehr, die die 1.600 Rollen Mikrofilm und Lochkarten lesen kann. Und gäbe es noch einen Computer aus jener Zeit würde es an Fachleuten mangeln, die damit umgehen könnten. Bei der NASA fallen ebenfalls Hunderttausende Aufzeichnungen dem technischen Fortschritt zum Opfer. Es geht um Daten aus den 60er Jahren über das Ozonloch und die Bedrohung der tropischen Regenwälder ebenso wie um Computerbilder von Mars, Venus, Jupiter und Saturn. Panik auch im Verteidigungsministerium. Anfragen von Vietnamveteranen über eine mögliche Belastung mit dem Entlaubungsgift „Agent Orange“ können nicht beantwortet werden, weil die Computeraufzeichnungen über Daten und Größe sämtlicher Einsätze von den neuen Rechnern nicht mehr gelesen werden können.

Wie es aussieht, hat der technische Fortschritt sich selbst ausgetrickst. Es wurden immer neue, immer kompliziertere Maschinen gebaut, die die Aufzeichnungen ihrer Vorgänger nicht mehr lesen konnten. Eine Bank mußte zum Beispiel innerhalb von nur vier Jahren rund 300 Umwandlungsprogramme schreiben lassen um ihre Daten zu sichern. Der stellvertretende Direktor des Statistischen Bundesamtes, Gerald Cranford, erzählt, daß seine Behörde seit 1960 fünfmal neue Computeranlagen bekommen hat. Bei jedem Systemwechsel sollten alle Daten überspielt werden, aber insgesamt 4.000 Bänder wurden übersehen. Um sie zu retten, müßten ein Jahr lang 27 Programmierer eingesetzt werden. Der Direktor der Abteilung Elektronische Aufzeichnungen der Nationalarchive, Kenneth Thibodeau, ist sich sicher, erst die Spitze des Eisbergs entdeckt zu haben: „Wir kratzen gerade an der Oberfläche der Probleme, die wir noch haben werden.“

Na, und wir dann wahrscheinlich auch. Hier bei uns in Deutschland benutzen wir ja schließlich auch die Ami-Hard- und Software. Welch entsetzlicher Gedanke, wenn auch bei uns der Tag kommen sollte, an dem die wertvollen Aufzeichnungen der letzten Volkszählung sich in einen nicht mehr zu entwirrenden Datensalat verwandeln werden. Karl Wegmann

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