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„Grundsätzlich unannehmbar“

■ Dokumentation der öffentlichen Stellungnahme des SPD-Präsidiumsmitglieds Heidemarie Wiezcorek-Zeul und des SPD-Rüstungsexperten Hermann Scheer

Die Nato-Entscheidung zur Entsendung der Militärischen Eingreiftruppe in die Türkei ist ein weiterer Schritt zur Eskalation. Die Entscheidung bleibt in der Sache und im Verfahren grundsätzlich unannehmbar.

Sachlich unannehmbar ist, daß statt einer Ausschöpfung friedlicher Mittel zur Konfliktlösung nun auch die Nato in die militärische Eskalation hineingezogen wurde. Der Antrag auf Entsendung wurde von der Nato eilbegierig positiv beantwortet, obwohl der türkische Antrag unter obskuren Umständen zustande kam. Der Verdacht liegt nahe, daß die Nato-Bürokratie in Brüssel selbst großes Interesse daran hat, offiziell an einem möglichen Golfkrieg beteiligt zu sein und ihr deshalb der türkische Antrag wie gerufen kam.

Das Verfahren bleibt prinzipiell unannehmbar: Eine Unterstellung von Streitkräften eines Nato-Mitgliedslandes setzt den Eintritt eines sogenannten „Bündnisfalles“ und die Zustimmung der nationalen Parlamente zur Eröffnung von Kriegshandlungen voraus. Beides hat nicht stattgefunden. Deshalb ist die Nato-Entscheidung ein Verstoß gegen ihre eigenen Statuten (Art. 11). Deshalb ist die Zustimmung der Regierungen zur Entsendung unter dem Kommando des Militärischen Befehlshabers der Nato ein Verstoß gegen die Verfassungen ihrer Länder. Es kann nicht hingenommen werden, daß militärische Gesichtspunkte höher gestellt werden als die demokratische Verfassung. Indem die Bundesregierung im Verteidigungsplanungsausschuß der Nato ihre Zustimmung zur Unterstellung der Luftwaffeneinheit daran geknüpft hat, daß sie vor deren Einsatz (Eintreten des sogenannten Nato-Bündnisfalles) noch einmal gefragt werden müsse, hat sie indirekt unseren Warnungen recht gegeben.

In ihrer Antwort auf unsere Position hat sie sich allerdings selbst widersprochen: Noch am Mittwoch mittag ließ die Bundesregierung erklären, das Parlament müsse nicht gefragt werden, weil Art. 24 GG (Übertragung von Hoheitsrechten auf ein kollektives Sicherheitssystem) eine nationale parlamentarische Entscheidung unnötig mache. Am Abend hat sie dann im Verteidigungsplanungsausschuß einen nationalen Entscheidungsvorbehalt erklärt.

Offensichtlich hat sich die Bundesregierung vor der Entscheidung im Nato-Verteidigungsplanungsausschuß keinerlei Gedanken über die verfassungsrechtliche Problematik ihres Handelns gemacht.

Es bleibt dabei: Die Bundesregierung darf keinerlei Zustimmung zum Einsatz deutscher Streitkräfte geben, bevor der Bundestag nicht mit Zweidrittelmehrheit zugestimmt hat.

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