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Özal bezieht Türkei siegesgewiß mit ein

■ Trotz kriegsfeindlicher Stimmung im Lande setzt sich der Präsident über alle Bedenken hinweg

„Die Anforderung der Mobilen Eingreiftruppe ist ein Skandal. Der einzige Ausweg, um Blutvergießen zu verhindern, ist sich von dieser Regierung zu befreien“, verkündete der konservative Ex-Premier Süleyman Demirel, nachdem bekannt geworden war, daß die Türkei die mobile Eingreiftruppe der Nato angefordert hatte. Der Sozialdemokrat Inönü, ein eher staatstragender Politiker, hielt auch nicht mit Kritik zurück. „Özal spielt Roulette mit dem Leben der Bürger.“ Der sozialdemokratische Ex-Premier Bülent Ecevit erinnerte an den einstigen türkischen Kriegsminister Enver Pascha, der im Ersten Weltkrieg die Türkei auf Seiten Deutschlands in den Krieg zog. „Präsident Özal verhält sich wie der Abenteurer Enver Pascha.“

Bereits am 30. November war in einem Kabinettsbeschluß unter Vorsitz von Staatspräsident Özal die Direktive an den Generalstab ergangen, die mobile Eingreiftruppe zur Stationierung an der türkisch-irakischen Grenze anzufordern. Die Anforderung wurde damals nicht nur den türkischen Parlamentariern und der Öffentlichkeit verschwiegen. Selbst Minister wußten nichts von diesem entscheidenden Schritt. Özal, der eigentlich nur repräsentative Funktionen ausüben sollte, doch autokratisch das Land regiert, hatte auf unterschriebene, leere Blätter den Kabinettsbeschluß aufsetzen lassen. „Wir haben das Land schließlich sechs Jahre so regiert“, rechtfertigte er sich nach Bekanntwerden des Skandals in der Öffentlichkeit.

Trotz kriegsfeindlicher Stimmung in der Bevölkerung, trotz der anhaltenden Streiks, die auch die Kriegspolitik Özals zum Ziel haben, versucht der Staatspräsident, in voller Siegesgewißheit die Türkei systematisch in die Kriegsvorbereitungen am Golf miteinzubeziehen: „Ich fürchte mich nicht vor dem Irak. Schließlich haben wir die Nato auf unserer Seite. Die Nato ist ein Organisation, die den Warschauer Pakt zum Einsturz gebracht hat. Und der Irak ist ein klitzekleines Land.“

Selbst Parlamentspräsident Kaya Erdem, selbst Mitglied der regierenden Mutterlandspartei, mahnte in seiner Neujahrsansprache Özal zur Mäßigung: „Niemand steht über dem Recht. Solange es keine Aggression gegen unser Land gibt, sollte die Nation nicht Krieg führen.“

Doch die Entmachtung des Parlamentes — selbst eine Kriegserklärung soll nur noch per Kabinettsbeschluß erfolgen — und leere Formblätter sind ganz Özals politischer Stil. Auf einem Treffen der Oppositionsführer Inönü und Demirel wurde eine gemeinsame Kampagne „Nein zum Krieg“ beschlossen. Sozialdemokrat Inönü will bis zum 15. Januar landesweit Kundgebungen abhalten. Die Bergarbeiter in Zonguldak, die sich seit Ende November im Streik befinden und heute nach Ankara zum Präsidentenpalais marschieren wollen, verkündeten Krieg ganz anderer Art. „Wir führen Krieg mit Özal“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende der Minenarbeiter Semsi Denizer. Ömer Erzeren, Istanbul

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