Vierzig Prozent kehrten in den Osten zurück

Bundesbahn versucht mit wenig Erfolg, ihre Personallücken mit unterbeschäftigten Lokführern der Reichsbahn zu stopfen  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Jahrelang hatte die Bundesbahn mit ihren Fahrgästen nur ein Problem: Sie blieben weg. Als im vergangenen Jahr dann überraschend viele Autofahrer ihre Blechkarossen zu Hause ließen und sich angesichts des zunehmenden Chaos auf der Straße für einen Versuch mit der Bundesbahn entschieden, brach das Chaos im Bahnfahrplan aus.

An allen Ecken fehlten plötzlich die Eisenbahner, die zuvor den rigiden Sparmaßnahmen des Bahnvorstandes zum Opfer gefallen waren — schließlich hatten die konservativen Verkehrspolitiker dafür gesorgt, daß zwischen 1983 und 1988 rund 50.000 Stellen eingespart wurden. Nun kamen selbst Intercity und Eurocity, die Hätschelkinder der Bahn, immer häufiger zu spät. Mindestens 1.200 Lokführer und genauso viele Rangierer fehlten auf den 6.000 Loks der Bundesbahn. Abhilfe von heute auf morgen war illusorisch: Die Ausbildung eines Lokführers dauert mindestens 18 Monate.

Im Herbst 1990 glaubte der DB- Vorstand, das goldene Los gezogen zu haben: Die schlimmsten Löcher könnten nach der Vereinigung mit Reichsbahnern gestopft werden. Für bis zu zwei Jahre sollten Reichsbahner in den Westen ziehen können. Westgehälter, Westzulagen, freie Unterkunft und sogar Trennungsgeld hatten die Bahnmanager auch gegen Bonner Besoldungsvorschriften durchgesetzt.

Der Start des Programms im Oktober war ermutigend — der Reichsbahn fiel die Freigabe leicht. Ohnehin personell überbesetzt, waren Lokführer, Rangierer und Wagenuntersucher nachgerade überflüssig, weil zum Beispiel die winterlichen Massentransporte der Braunkohle zurückgingen. Insgesamt 408 Reichsbahner folgten der lockenden Stimme aus Frankfurt und versuchten ihr Glück im Westen. Nach nur dreißig Tagen Anlernphase sollten sie die fehlenden Westkollegen ersetzen. Doch nach kurzer Zeit schon kam der Einbruch.

Vielen Reichsbahnern bekam das rauhere Westklima offenbar nicht. Fast 40 Prozent der Angeworbenen hatten schon Ende Dezember die Schnauze voll. Diese Verluste konnte die Bahn auch durch eine erneute Kampagne nicht ausgleichen. Nur 159 Reichsbahner ließen sich für das neue Jahr anwerben, und selbst von denen erschienen zwölf erst gar nicht nicht zum Dienst.

Verantwortlich dafür seien die härteren Arbeitsbedingungen bei der Bundesbahn, weiß Reinhard Sauer, Sprecher der Eisenbahnergewerkschaft GdED. Vor allem der Schichtdienst mit vielen Nachtdiensten sei für die Ostkollegen ungewohnt. Dazu kämen aber auch soziale Probleme mit Umzug und Familie. Bei ersten Welle im vergangenen Oktober, gibt auch Bundesbahnsprecher Fridolin Schell zu, hat es auch Unterbringungsprobleme gegeben. Gerade in den Ballungszentren sei es schwierig gewesen, genug Wohnraum zu besorgen. Teilweise seien die Eisenbahner in Zweibettzimmern untergebracht worden.

Schell ist aber zuversichtlich, die neu angeworbenen Bahner jetzt länger halten zu können, zumal die Wohnungssituation besser geworden sei. Längerfristig glauben die Bahnverantwortlichen in Frankfurt ohnehin, auf die Reichsbahnaushilfen wieder verzichten und ihren Personalbedarf aus dem eigenen Fundus decken zu können. Schwacher Trost für die Ost-West-Wechsler: Sie haben zwei Jahre Zeit, um auf ihren alten Arbeitsplatz bei der Reichsbahn zurückkehren.