: Mathematik für Festgenommene
■ Kleine spieltheoretische Beratung für Gefangene
„Erna und Paul halten 's Maul.“ Mir dieser Parole werben Autonome für Aussageverweigerung nach einer Festnahme. Die Mathematik analysiert diese Situation mit der sogenannten Spieltheorie. Die Theorie wurde vor rund siebzig Jahren begründet, um das ökonomische Verhalten von Akteuren zu untersuchen. Inzwischen werden spieltheoretische Modelle auch in der Politik, Soziologie, Biologie und Psychologie angewendet.
Das bekannteste spieltheoretische Problem ist das Gefangenendilemma, von ÖkologInnen auch Allmende-Klemme genannt (siehe Text): Zwei Streetfighter, Erna und Paul, fahren ein. Die beiden können entweder zugeben, die Deutsche Bank plattgemacht zu haben, oder schweigen. Wenn Erna gesteht, aber Paul nicht, wird sie als Kronzeugin freigelassen, während er zu zehn Jahren verknackt wird. Plaudern beide, wandern beide für sechs Jahre in die Kiste. Halten beide 's Maul, kann ihnen nur Beleidigung und Widerstand nachgewiesen werden, und sie kommen mit einem Jahr Knast davon.
Wo das Dilemma steckt, wird klar, wenn man sich die Situation von einem/r der beiden vergegenwärtigt: Wenn ihr Genosse auspackt, bekommt Erna zehn Jahre, auch wenn sie schweigt; aber nur sechs, wenn sie auch redet. Hält Paul 's Maul, kann auch sie dichthalten und ein Jahr absitzen oder plaudern und damit ihre Freiheit erlangen. In beiden Fällen ist es also für Erna günstiger auszusagen. Dieselben Überlegungen gelten natürlich auch für Paul. Also werden beide, vorausgesetzt sie denken nur an ihren eigenen Vorteil, quatschen und damit für sechs Jahre einfahren, obwohl sie bei beiderseitigem Schweigen nur mit einem Jahr hätten davonkommen können.
Das Gefangenendilemma trifft nicht nur Erna und Paul. Analog strukturiert sind viele soziale und politische Konflikte, in denen Eigennutz gegen Allgemeinwohl steht. Genauso wie Streetfighter häufiger mit der Staatsgewalt konfrontiert sind, treten auch diese Konflikte immer wieder auf. Für solche wiederholten Gefangenendilemmata forderte Robert Axelrod Anfang der achtziger Jahre Wissenschaftler verschiedener Disziplinen auf, Computerprogramme zu schreiben, die Lösungsstrategien liefern sollten. Der US-amerikanische Politologe ließ diese dann gegeneinander antreten. Zur großen Überraschung der Fachwelt stellte sich dabei mit „tit for tat“ („Wie du mir, so ich dir“) eine der einfachsten Verhaltensregeln als die erfolgreichste heraus. Diese Strategie beginnt mit der Aussageverweigerung und ahmt in den darauffolgenden Spielrunden jeweils das Verhalten der PartnerIn nach. Erna und Paul allerdings sollten es bei der ersten Runde belassen. Wolfgang Blum
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