: Bochumer ÖTV feuert linken Sekretär
Ein DGB-Wahlaufruf löste den Konflikt aus/ Betroffener weigerte sich, ihn auf ÖTV-Jugendfestival zu verteilen/ Glückwunsch für Gysi und seine PDS brachte rechte Sozialdemokraten in Wallung ■ Von Walter Jakobs
Bochum (taz) — „Straßenschlachten und Hausbesetzungen, Krawalle bei Fußballspielen, Anschläge auf Wohnungen ausländischer Mitbürger/-innen, Parolen an sowjetischen Kasernen und Angriffe auf Soldaten — dies alles sind nur einige Beispiele für den neuen gesamtdeutschen Rechtsextremismus, gerade in der ehemaligen DDR.“ Mit dieser feinsinnigen politischen Analyse, in der Hausbesetzungen und Straßenschlachten in einem Atemzug mit Anschlägen auf Ausländer als Beispiele für den „neuen gesamtdeutschen Rechtsextremismus“ angeführt werden, meldete sich der Bochumer DGB-Kreisverband vor der letzten Bundestagswahl unter der Überschrift, „Demokraten seid wachsam!“, zu Wort. So manche Gewerkschafter trauten ihren Augen nicht, mochten nicht glauben, daß dieser hochgradige Schwachsinn tatsächlich aus dem DGB-Haus stammte. Allein, die Hoffnung auf eine Fälschung trog, der vom Bochumer DGB-Vorsitzenden Heinrich Müller unterzeichnete Aufruf war echt. Für Norbert Kramer-Berning, Sekretär in der Bochumer Kreisverwaltung der Gewerkschaft ÖTV, sollte dieser Aufruf, der vom stellvertretenden ÖTV-Kreisgeschäftsführer Gisbert Schlotzhauer formuliert worden war, gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. Die örtliche ÖTV-Spitze warf dem Sekretär, der sich aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht äußern mochte, vor, den Wahlaufruf auf einem ÖTV-Jugendfestival aus politischen Gründen nicht verteilt zu haben. Damit habe sich Kramer-Berning eines schweren „arbeitsrechtlichen Verstoßes“ schuldig gemacht. Dieses Verhalten und weitere „Vorkommnisse, zu denen ich mich jetzt nicht ausbreiten will“, hätten, so Schlotzhauer zur taz, zu einer „erheblichen Störung“ im Vertrauensverhältnis zwischen dem Sekretär und der ÖTV-Kreisleitung geführt. Ohne den ÖTV-Betriebsrat auch nur zu informieren wurde Kramer-Berning am 15. Dezember 1990 aufgefordert, die Kreisverwaltung zu verlassen und noch am gleichen Tage der ÖTV-Bezirksverwaltung, die den Sekretär fünf Tage später beurlaubte, „zur Verfügung gestellt“.
Mit ihrer Entscheidung hat die Kreisleitung nach Auffassung des ÖTV- Betriebsrates nicht nur gegen die Satzung sondern auch gegen die Beschlußlage der ÖTV verstoßen. Er habe den Eindruck, so ÖTV-Betriebsrat Dieter Krause zur taz, „daß da etwas hochgepuscht wird“, um „einen etwas unbequemen Sekretär zu disziplinieren“.
Tatsächlich ist Kramer-Berning den rechtssozialdemokratischen ÖTV- Funktionären seit langem ein Dorn im Auge. Schon Mitte des Jahres 1990 wurde er „ermahnt“, weil er den Aufruf „Nie wieder Deutschland“ als ÖTV-Sekretär unterzeichnet und die Frankfurter Demonstration gegen die Wiedervereinigung unterstützt hatte. Eine vierzeilige Anzeige in einem Bochumer Annoncenblatt versetzte die Bochumer ÖTV-Betonköpfe endgültig in Wallung. „Gregor und die linke Opposition im Bundestag! Wir freuen uns und wünschen der PDS viel Erfolg“, lautete der Anzeigentext, der von Kramer-Berning und einem weiteren ÖTV-Sekretär unterzeichnet war. Danach, so die ÖTV-Betriebsratsvorsitzende bei den Bochumer Stadtwerken, Elke Kramer, hätten „sich viele Kollegen aufgeregt“, und unter diesen Umständen hätte es bei einer weiteren Zusammenarbeit mit Kramer-Berning „sicher Schwierigkeiten gegeben“. Während hunderte von Gewerkschaftsfunktionären — etwa in der Initiative „Arbeitnehmer für Oskar“ — offenbar ohne jeden Schaden für die Einheitsgewerkschaft, die ja bewußt alle politischen Lager einschließt, Wahlkampf machen durften, erschütterte eine PDS- Sympathieerklärung die Grundfeste der ÖTV? „Als Privatmann“ könne der Sekretär sich über die PDS „freuen“, aber, so der ÖTV-Bezirksleiter Berthold Kickebusch, „es gibt da Schmerzgrenzen“. Generell könne die Gewerkschaft im Konfliktfall „nicht die Mitglieder austauschen, sondern da muß man den Sekretär austauschen“. Noch ist es nicht soweit. Am Samstag findet ein Gespräch beim Hauptvorstand der Gewerkschaft in Stuttgart statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen