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Die hilflosen Tricks der Dekadenz

■ Auch das Werkbund-Archiv präsentiert nun eine Walter-Benjamin-Ausstellung: »Bucklicht Männlein und Engel der Geschichte«

Die Gedenkveranstaltungen zum 50. Todestag Benjamins reißen nicht ab. Nur wenige Tage nach Abschluß der Ausstellung des Adorno-

Archivs im Literaturhaus, die einen umfassenden Überblick zu Benjamins Biographie und Rezeption vermittelte, wurde im Martin-Gropius-Bau eine weitere Benjamin-Schau eröffnet. In dieser wird der Versuch vorgeführt, Benjamins Denken in Bildräume zu übertragen.

Das Werkbund-Archiv will es in seiner Ausstellung Bucklicht Männlein und Engel der Geschichte · Walter Benjamin, Theoretiker der Moderne mit Benjamin »so bunt treiben, daß ihm Hören und Sehen verginge«. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Vergangen wäre ihm einzig das Denken, zu dem die Werkbündler keine Zeit hatten. Der anderen Intention: »Kein Besucher soll die Ausstellung verlassen können, ohne den dringenden Wunsch, sich in Benjamins Schriften zu vertiefen«, wird dagegen ein zweifelhafter Erfolg zuteil. Die vielen kleinen Verfälschungen der Texte Benjamins irritieren den Betrachter so sehr, daß ein korrigierendes Nachlesen zwingend notwendig wird.

Die Ausstellung beginnt mit einer Inversion. Der Besucher sieht sich schon im Flur nach innen versetzt. In giftgrünes Licht getaucht, wandelt er durch immer niedriger werdende Papparkaden und sieht sich von immer mehr aufgeklebten Engeln umgeben, um schließlich am Ende des Ganges gemeinsam mit den schwarzweiß reproduzierten Dante und Beatrice aus der Divina Commedia am Eingang der himmlischen Herrlichkeit zu stehen.

Es ist bekannt, daß Benjamins Paradiesvorstellungen sehr viel irdischer waren, sein Engel der Geschichte hilflos. Die in der Wandelhalle rechts und links notierten Benjamin-Zitate könnten diesen Bruch markieren, erreichen hier aber ihr Gegenteil, da sie, aus den unterschiedlichsten Kontexten herausgerissen, in ein Amalgam zu dem Thema »Katastrophe und Erwachen« eingehen. Schon die beiden Begriffe gehören nicht in den gleichen Zusammenhang. Das Bewußtsein, im Prozeß fortlaufender Traumatisierung immer wieder wach zu werden, ist von der historischen Beschreibung des katastrophischen Kontinuums des Geschichtsprozesses nicht nur radikal verschieden. Diese beiden Betrachtungsweisen stehen sich sogar feindlich gegenüber und sind von Benjamin als dialektisches Spannungsverhältnis gerade nicht akzeptiert worden. Die Formulierungen zu einer Theorie des Fortschritts im Konvolut des »Passagenwerks« machen dies deutlich. Aus ihnen aber greifen die Aussteller eine schöne Formulierung heraus, die suggeriert, es gäbe eine Dialektik des Fortschritts als Katastrophe und rettendes Erwachen: »Für den Dialektiker kommt es darauf an, den Wind der Weltgeschichte in den Segeln zu haben. Denken heißt bei ihm: Segel setzen. Wie sie gesetzt werden, das ist wichtig.«

Die Auseinandersetzung mit dem historischen Fortschritt, die hier gefordert ist, richtet sich aber nicht am katastrophischen Verfallsprozeß des Immergleichen aus, sondern zielt auf eine andere Art der Überlieferung der historischen Materialien. Gerade die Überlieferungstechnik wird aber in der Ausstellung nirgends deutlich, Dialektik verkommt in ihr zu einem groben Handwerk: »In allen [...] Themenräumen des Gangs wird das gleiche Spannungsverhältnis angesprochen: Mythos und Aufklärung, Theologie und Marxismus, messianische und empirische Zeit, Traumzeit und Erwachen.« Die üblen Folgen bleiben nicht aus.

Während der Besucher den Gang zum ersten Ausstellungsraum wieder verläßt, muß er schon wie durch eine Kathedrale sich bewegen. Verwandlung des Denkens in räumliche Inszenierungen ereignet sich als Sakralisierung, während Benjamin den Prozeß exakt entgegengesetzt als Säkularisierung verstanden hat.

Der Sammler als Lump

Dazu paßt das ästhetisierende Pathos des ersten Raumes: Unter dem Titel »Traumzeit« werden von Benjamins »Berliner Kindheit um 1900« bis zum »Passagenwerk« wiederum disparate Momente aus Benjamins Schriften zusammengepreßt. Legitimiert wird diese Beliebigkeit mit der Figur des Lumpensammlers. Die Ressourcen dieses Protagonisten aber sind bei Benjamin eher asketisch prognostiziert, wohingegen sich die Multimediashow der fünf Diaprojektoren und der Tondokumente als Kulturimperialismus herausstellt. Verführen will man nicht zur Konzentration auf das Detail an jedem Gegenstand, auf daß dieser die Augen aufschlage, vielmehr will man im Dämmerlicht des Träumens verbleiben. Eine Tendenz, die sich im nächsten Interieur, »Kindheit« überschrieben, noch verstärkt. Die schon im Flur deutlich gewordene Banaldialektik steigert sich hier zur Inbezugsetzung von kindlicher Traumwelt und faschistischer Bedrohung, die nicht einmal der Biographie Benjamins entspricht. Die Wohnräume seiner Kindheit hat er nicht erst mit Beginn der faschistischen Diktatur verlassen, sondern schon vor dem Ersten Weltkrieg. Noch weniger aber sind die Erinnerungen der »Berliner Kindheit« solche an Gegenstände, die in einem in die bürgerliche Wohnstube eingelassenen Sandkasten zurückgeblieben sind, wie es die Installation des Raumes vermuten läßt.

Zurück zu den Müttern

Den edelkitschigen Strandträumen folgt ein Raum zu den Pariser Passagen. Aus Benjamins Metapher vom »gläsernen Sarg auf dem Grunde des Meeres« wird eine Schaufensterkonstruktion, worin die Kopfbedeckung der Väter und die Unterwäsche der Mütter die Hauptrolle spielen, sie wird zu einer sterilen Träumerei im Ambiente eines albern angedeuteten Ozeanrauschens. Tragikomisch, daß, wo man einmal den Mut zur Auswahl eines einzelnen Momentes aus Benjamins Beschreibungen gefunden hat, die Identifikationen derart entlarvend sind. An der surrealistischen Pädagogik, in der hier deliriert wird, zeigt sich noch einmal, daß man nicht an den Bruchstellen der von Benjamin thematisierten Phänomene interessiert ist, sondern in der Dekadenz der Traumwelt selbst verbleiben will.

Bleibt noch zu berichten, daß man sich im letzten Raum um einen biographischen Überblick bemüht hat. Tatsächlich sind auch ein paar schöne Dokumente zu sehen. Im Vergleich zur Ausstellung des Literaturhauses wird aber nur wenig wirklich Neues gezeigt. Zudem ist Benjamins Verhältnis zum Judentum fälschlicherweise ins Zentrum der Präsentation gerückt worden. Die perspektivische Zusammenziehung der Exponate in einer Großvitrine in der Form eines Davidsterns, der Benjamins Versöhnung mit dem Judentum symbolisieren soll, wird denn auch von einem der wenigen authentisch wiedergegeben Zitate Benjamins auf der letzten Ausstellungstafel selbst widerlegt: »Mein Denken verhält sich zur Theologie wie das Löschblatt zur Tinte. Es ist ganz von ihr vollgesogen. Ginge es aber nach dem Löschblatt, so würde nichts, was geschrieben ist, übrigbleiben.« Es gibt einen Nihilismus, der nicht Katastrophe ist. Thomas Schröder

Die Ausstellung ist bis zum 28. April täglich außer Mo. von 10 bis 20 Uhr im Martin-Gropius-Bau zu sehen.

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